Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Familienbande

Familienbande

Titel: Familienbande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
Vom Netzwerk:
wirkte nun alles andere als einladend. Flawse Hall auf der Flawse-Hochebene unterhalb der Flawse-Hügel wirkte alles andere als erheiternd: Das große, graue, granitene Gebäude mit einem Turm an der einen Seite erinnerte sie an eine Miniaturausgabe des berüchtigten Dartmoor-Gefängnisses. Die das Haus an drei Seiten umgebende Steinmauer wirkte ähnlich abwehrend, der überwölbte Torweg war groß und bedrohlich. Neben der Mauer kauerten ein paar verkrüppelte windgebeugte Bäume, und weit im Westen erblickte sie einen düsteren Kiefernwald.
»Das da drüben ist der Stausee«, sagte Mr. Flawse. »Den Damm unten wirst du noch sehen.«
Mrs. Flawse sah den Damm. Man hatte ihn aus den im Tal herumliegenden Granitblöcken erbaut, und von seinem Fundament folgte ein in Stein gefaßtes Flüßchen dem Talverlauf, floß unter einer mit Toren versehenen Brücke durch und schlängelte sich noch einen halben Kilometer weiter, ehe es durch ein finsteres Loch im Hügel verschwand. Alles in allem bot sich ihnen eine so trostlose Aussicht, wie es die Natur und Wasserwerker des neunzehnten Jahrhunderts nur irgend bewerkstelligen konnten. Sogar das eiserne Tor auf der Brücke war mit Eisenspitzen versehen und verschlossen. Wieder mußte Mr. Dodd vom Bock steigen und es öffnen, damit die Kutsche durchfahren konnte. Mr. Flawse betrachtete stolz den Hügel und rieb sich frohgemut die Hände. »Ein gutes Gefühl, wieder zu Hause zu sein«, behauptete er, als die Pferde sich gemächlich an den Anstieg zum Haus machten.
Mrs. Flawse konnte nichts Gutes daran finden. »Was ist das an dem einen Ende für ein Turm?« fragte sie.
»Das ist der alte Wehrturm. Wurde von meinem Großvater weitgehend restauriert, doch das Haus ist in seiner Struktur noch fast genauso wie ihm sechzehnten Jahrhundert.«
Das glaubte ihm Mrs. Flawse unbesehen. »Ein Wehrturm?« murmelte sie.
»Eine Zuflucht für Mensch und Tier bei Überfällen der Schotten. Die Mauern sind drei Meter dick, und eine Gruppe brandschatzender Schotten oder Moosräuber schaffte es nicht, dort einzudringen, wo sie nicht erwünscht waren.«
»Und was sind Moosräuber?« erkundigte sich Mrs. Flawse. »Heute gibt es keine mehr, Ma‘am«, erklärte der Alte, »aber früher gab es welche. Wegelagerer und Viehdiebe aus Redesdale und North Tynedale. Das Gesetz des Königs galt in den Grenzmarken erst im späten siebzehnten Jahrhundert, oder wie manche sagen, noch später. Nur ein wirklich tapferer Vertreter des Gesetzes hätte sich lange vor 1700 in diese wilde Gegend getraut.« »Aber warum hießen sie Moosräuber?« fuhr Mrs. Flawse in
dem Bestreben fort, ihre Gedanken von dem drohend aufragenden Granitgebäude abzulenken.
»Weil sie übers Moos ritten, ihre Bollwerke aus dicken Eichenstämmen erbauten und zur Tarnung mit Moos bedeckten, damit man sie nicht unter Beschuß nahm. Es war bestimmt nicht einfach, sie zwischen den Torfmooren und Sümpfen aufzuspüren. Aye, und es brauchte einen mutigen Mann ohne Todesangst im Herzen.«
»Ich hätte gedacht, daß jeder, der freiwillig in diese Gegend zog, von Todessehnsucht befallen sein mußte«, sagte Mrs. Flawse.
Doch der Alte ließ sich durch den Großen Schnitter nicht von der großen Vergangenheit ablenken. »Wohl wahr, Ma‘am, doch wir Flawses leben weiß Gott wie lange hier, schon in der so gern besungenen Schlacht bei Otterburn kämpften Flawses an der Seite von Percy.«
Wie um diese Feststellung zu untermauern, explodierte auf dem Schießplatz im Westen wieder eine Granate, und als der Krach verebbte, ertönte ein noch schauerlicherer Lärm: Hundegebell.
»Du liebe Güte, was um alles in der Welt ist das?« fragte die nunmehr gründlich verschreckte Mrs. Flawse.
Mr. Flawse strahlte. »Die Flawse-Meute, Ma‘am«, antwortete er und klopfte mit dem silbernen Knauf seines Stockes an das Fenster. Mr. Dodd spähte zwischen seinen Beinen hindurch, und zum erstenmal bemerkte Mrs. Flawse, daß er auf einem Auge schielte. Aus dieser Perspektive verlieh dies seinem Gesicht etwas schauderhaft Lüsternes. »Dodd, wir fahren in den Garten. Mrs. Flawse möchte die Jagdhunde sehen.«
Mr. Dodds auf den Kopf gestelltes Grinsen war furchtbar anzusehen. Das gleiche galt für die Hunde, die in einer wimmelnden Horde ausschwärmten, und die Kutsche umringten als er vom Bock stieg und die schweren hölzernen Flügel unter dem Torbogen öffnete. Mrs. Flawse starrte verschreckt auf sie hinab. »Was ist das für eine Rasse? Fuchshunde sind es ganz bestimmt

Weitere Kostenlose Bücher