Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Familienbande

Familienbande

Titel: Familienbande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
Vom Netzwerk:
Mißachtung sämtlicher Dogmen ihres Vorortglaubens darstellte und sich alle erdenklichen Freiheiten herausnahm.
Da er sich bei Mrs. Flawse bereits die Freiheit herausgenommen hatte, sie in ihrer Hochzeitsnacht tüchtig herzunehmen, hätte sie das nicht überraschen dürfen. Die Entdeckung ihrer ersten gemeinsamen Nacht, daß Mr. Flawse ein rotes Flanellnachthemd mit intensivem Eigengeruch trug und es dreimal versäumte, zwischen Handwaschbecken und Toilette zu unterscheiden, war schon schlimm genug gewesen. Mrs. Flawse hatte diese Schwächen auf sein Alter, mangelnde Sehkraft und nachlassendes Geruchsvermögen zurückgeführt. Ähnlich unangenehm berührt war sie gewesen, als er neben dem Bett niederkniete und den Herrgott im voraus um Vergebung für die fleischlichen Ausschweifungen bat, mit denen er anschließend »den Körper dieser mir ehelich verbundenen Frau« behelligen werde. Da sie nicht so recht wußte, was er sich darunter vorstellte, fand Mrs. Flawse das Gebet recht schmeichelhaft. Es bestätigte ihren Eindruck, daß sie mit sechsundfünfzig immer noch eine attraktive Frau und daß ihr Mann ein tiefreligiöser Mensch war. Zehn Minuten später wußte sie es besser. Ganz gleich, welche Einstellung der Herrgott zum Thema Vergebung haben mochte, Mrs. Flawses war unversöhnlich eingestellt. Die Exzesse des alten Mannes würde sie weder vergeben noch vergessen, und die Vorstellung, es mit einem tiefreligiösen Menschen zu tun zu haben, war zunichte geworden. Mr. Flawse hatte sich, stinkend wie ein alter Fuchs, wie ein junger benommen, sich ihres Körpers bemächtigt und dabei zwischen den verschiedenen Stellen des Eindringens œ oder, wie sie es taktvoller nannte, »Körperöffnungen« œ so geringe Unterschiede gemacht wie zwischen Waschbecken und Toilette, und zwar mit weitgehend gleichen Intentionen. Mrs. Flawse hatte sich wie die Kreuzung eines sexuellen Siebs mit einer Jauchegrube gefühlt und mit dem Trost über das Martyrium hinweggeholfen, solches Treiben œ und der alte Mann hatte es immer und immer wieder getrieben œ müßte dadurch ein jähes Ende finden, daß er entweder einen Herzinfarkt oder einen Leistenbruch bekam. Mr. Flawse tat ihr weder den einen noch den anderen Gefallen, und als sie am nächsten Morgen aufwachte, saß er eine übelriechende Pfeife paffend da und musterte sie mit unverhohlenem Behagen. Den Rest der Reise war Mrs. Flawse tags übers Deck gewatschelt und hatte nachts im Bett die Beine gespreizt, in der Hoffnung, der Sold seiner Sünden würde sie bald zu einer reichen, aller Sorgen ledigen Witwe machen.
Und so reiste sie mit ihm gen Norden, wild entschlossen, diese Tortur bis zum bitteren Ende durchzuhalten und sich nicht von seinem Benehmen ins Bockshorn jagen zu lassen. Als sie in Hexham ankamen, ließ ihre Entschlossenheit bereits nach. Sie fand die graue steinerne Stadt deprimierend und ließ sich nur kurz durch das Schauspiel aufmuntern, daß vor dem Bahnhof eine tadellos erhaltene, von zwei Rappen gezogene, zweisitzige Kutsche vorfuhr und ihr der in Gamaschen und Uniformrock gewandete Mr. Dodd die Tür aufhielt. Mrs. Flawse stieg ein und fühlte sich besser. So etwas nannte sie stilvoll ausgefahren werden, es roch nach einer Welt, die so ganz anders war als alles, was sie bisher gekannt hatte, nach einer aristokratischen Welt mit uniformierten Dienern und eleganten Equipagen. Doch als die Kutsche durch die Straßen des Marktfleckens fuhr, überlegte Mrs. Flawse es sich noch einmal reiflich. Der Pferdewagen hüpfte, wackelte und ruckelte, und als sie nach Überqueren des Tyne-Flusses die Straße nach Wark via Chollerford einschlugen, war sie in ihren Überlegungen betreffs der Bequemlichkeit zweisitziger Kutschen schon weiter gediehen. Gelegentlich bewegten sie sich auf baumbestandenen Alleen vorwärts, dann wieder erklommen sie kahle Hänge, auf denen noch Schneewehen an Bruchsteinmauern lagen. Die ganze Zeit über schwankte und holperte die Kutsche fürchterlich, während sich Mr. Flawse neben Mrs. Flawse an ihrem Unbehagen weidete.
»Herrliche Aussicht«, behauptete er, als sie ein besonders unangenehmes Stück offenes Land ohne einen Baum weit und breit überquerten. Mrs. Flawse behielt ihre Gedanken für sich. Sollte sich der Alte an ihrem Leiden weiden, solange er noch atmen konnte, aber wenn sie sich erst einmal fest in Flawse Hall etabliert hatte, würde er schon merken, wie ungemütlich sie die ihm verbleibende Zeit machen konnte. Zunächst einmal würde es

Weitere Kostenlose Bücher