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Familienbande

Familienbande

Titel: Familienbande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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Jessica aus. »Laß uns hier für einen Augenblick anhalten. Ich möchte es unbedingt genießen.«
Sie stieg aus und starrte hingerissen das Gebäude an. Von seinem Wehrturm bis zu den rauchenden Schornsteinen und dem aus den Fenstern fallenden Lichtschein war es genauso, wie sie es sich erhofft hatte. Wie um diese Erfüllung zu feiern, kam im selben Moment der Mond hinter einer Wolke hervor und glitzerte auf der Oberfläche des Stausees, und aus der Ferne hörte man das Bellen der Flawseschen Jagdmeute. Die Lektüre aus Jessicas hinausgezögerter Pubertät wurde Wirklichkeit.
     

Kapitel 8
     
    Man könnte sagen, daß Mr. Flawses Lektüre am nächsten Morgen im Saal des Wehrturms Wirklichkeit wurde, den sein Großvater so restauriert hatte, daß sogar die ursprüngliche luxuriöse Eleganz übertroffen wurde. Der Zeitgenosse Sir Walter Scotts hatte dessen Bücher geradezu verschlungen und den ehemaligen befestigten Kuhstall zu einem Bankettsaal mit Stuck und Zierwappen ausbauen lassen, von dessen Sparren die zerschlissenen und völlig imaginären Schlachtenfahnen eines halben Dutzends fiktiver Regimenter hingen. Zeit und Motten hatten diesen Standarten eine gazeartige Authentizität beigebracht, während der Rost den Rüstungen und Wappen das Flair von Handarbeit verliehen hatte, das ihnen fehlte, als er sie erwarb. Und Rüstungen und Wappen fanden sich überall. Behelmte Figuren lehnten an den Wänden und darüber, zwischen den ausgestopften Köpfen von Hirschen, Elch, Antilope, Bär und sogar dem eines Tigers hingen die Schwerter und Hellebarden längst vergangener Schlachten.
In dieser kriegerischen Umgebung, mit einem mächtigen Feuer im Kamin und zwischen den Fahnen aufsteigendem Rauch, wollte Mr. Flawse sein Testament verlesen lassen. Vor ihm an einem langen Eichentisch saßen die theoretisch seinem Herzen am nächsten stehenden Personen: Lockhart, Mrs. Flawse, die in ein romantisches Koma versunkene Jessica, der Anwalt Mr. Bullstrode, der das Testament verlesen sollte, zwei Pächter, um das Dokument als Zeugen zu unterschreiben, sowie Dr. Magrew, um zu bestätigen, daß Mr. Flawse, wie dieser behauptete, geistig gesund war.
»Die Zeremonie ist unter striktester Beachtung juristischer und rechtswissenschaftlicher Vorschriften durchzuführen«, hatte Mr. Flawse angeordnet, und so geschah es. Er hätte genausogut ergänzen können, der große Thomas Carlyle würde dem Verfahren das Gewicht seiner rhetorischen Autorität verleihen, denn in der einleitenden Ansprache des Alten waren deutliche Anleihen bei dem Weisen von Ecchilfeccan unüberhörbar. Seine Worte hallten durch die Dachsparren, und da das Testament aus juristischen Gründen kaum Punkte enthielt, hatte Mr. Flawse dieses Manko dadurch wettgemacht, daß er seine Rede mit Semikolons spickte.
»Ihr seid heute hier versammelt«, verkündete er und hielt seine Rockschöße über das Feuer, »um das Testament von Edward Tyndale Flawse zu hören; einmal verwitwet und zweimal verheiratet; Vater der verstorbenen und teils betrauerten Clarissa Richardson Flawse; Großvater ihres unehelichen Nachkommen Lockhart Flawse, den ich, da sein Vater unbekannt ist, nicht aus Herzensgüte, sondern aus jener angeborenen und unbestreitbaren praktischen Geisteshaltung heraus, welche eine der besonders zuverlässig weitervererbten Eigenheiten der Familie Flawse darstellt, zu meinem Erben in der männlichen Rangfolge eingesetzt habe. Doch zu den Folgen dieser Tatsache später mehr; nicht von solch niedrigen gemeinen Dingen möchte ich sprechen; von erhabeneren Themen will ich singen, wenn es denn ein Gesang ist, den alte Männer aus ihren verschwommenen Erinnerungen an die Vergangenheit anstimmen; alt bin ich sehr wohl, und dem Tode nahe.«
Er hielt inne, um Atem zu schöpfen, und Mrs. Flawse rutschte erwartungsfroh auf ihrem Stuhl herum. Mr. Flawse musterte sie mit funkelndem Raubtierblick. »Aye, Ma‘am, zu recht windet Ihr Euch; auch Ihr werdet noch in Senilität verfallen; des Todes knöcherner Finger winkt, und wir müssen gehorchen; finsteres Vergessen ist uns gewiß. Gewiß und über alle anderen Gewißheiten erhaben; der einzige Fixstern im Firmament menschlicher Erfahrung; da alles andere zufällig, nebensächlich und unkoordiniert ist, können wir unseren Sextanten lediglich nach dem Stern der Nichtexistenz, dem Tod, ausrichten, um zu ergründen, was und wo wir sind. Den ich nun, mit neunzig Jahren, greller und bedrohlicher als je zuvor strahlen sehe. Und so nähern

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