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Familienbande

Familienbande

Titel: Familienbande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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Lockhart. »Mein altes hat mir nicht gefallen, darum hab‘ ich es geändert.«
»Es hat dir nicht gefallen? Warum nicht?«
»Auf dem Nummernschild stand PIS 453, darum ließ ich ein neues machen, ein viel schöneres. Es heißt FLA 123.«
»Aber dann suchen sie eben nach einem Range Rover mit dem Kennzeichen FLA 123«, gab Jessica zu bedenken, »und sie haben Funkgeräte und all sowas.«
Lockhart hielt in einer Parkbucht. »Dich stört es wirklich nicht, wenn wir PIS 453 sind?« fragte er.
Jessica schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht«, sagte sie, »Dummerchen.«
»Wenn du darauf bestehst«, sagte Lockhart zweifelnd, stieg aber schließlich doch aus und wechselte die Nummernschilder aus. Als er wieder in den Wagen stieg, umarmte ihn Jessica.
»O Liebling«, sagte sie. »Ich fühle mich mit dir so sicher. Ich weiß nicht, warum, aber irgendwie schaffst du es immer, daß alles so einfach aussieht.«
»Wenn du es nur richtig angehst«, sagte Lockhart, »ist das meiste einfach. Das Problem ist, daß die Menschen nie das Naheliegende tun.«
»Das wird es wohl sein«, sagte Jessica und verfiel wieder in ihre romantischen Träumereien von Flawse Hall auf der Flawse-Hochebene unterhalb der Flawse-Hügel. Mit jedem Kilometer
Richtung Norden wurden ihre Gefühle, anders als die ihrer Mutter, nebliger und verschwommener von Legenden und der wilden Schönheit, nach der sie sich sehnte.
Auch die Gefühle des neben ihr sitzenden Lockhart änderten sich. Er entfernte sich von London und dem Tiefland, das er so verabscheute, und kehrte, wenn auch nur kurz, in das offene hügelige Hochland seiner Jugend zurück, zu der Musik von in der Ferne oder in der Nähe abgefeuerten Gewehren. Der Geschmack von Wildnis und ein seltsam gewalttätiges Gefühl bemächtigten sich seiner, und in seinem Kopf nahm Mr. Treyer eine neue monströse Form an, ein gigantisches Fragezeichen, auf das es nie eine Antwort geben würde. Man stellte Mr. Treyer eine Frage und bekam eine Antwort, die keine Antwort war, sondern eine Bilanz. Auf der einen Seite stand das Soll, auf der anderen das Haben. Man zahlte sein Geld und ging ein Risiko ein, und Lockhart war hinterher nicht klüger als vorher. Die Welt, in der er sich auskannte, hatte keinen Platz für Doppelzüngigkeiten oder Grauzonen, in denen alles verdreht wurde und man sich gegen sämtliche Eventualitäten absicherte. Wenn man auf ein Moorhuhn zielte, traf man oder man traf nicht, und knapp daneben geschossen war auch vorbei. Und wenn man eine Bruchsteinmauer baute, blieb sie stehen oder fiel um, und wenn sie umfiel, bewies das, daß man einen Fehler gemacht hatte. Doch im Süden war alles Schluderei und Vertuschung. Ihn bezahlte man, damit er nicht arbeitete, und andere, die nicht arbeiteten, machten Vermögen durch den Kauf und Verkauf von Optionen auf noch zu erntenden Kakao oder noch nicht gefördertes Kupfer. Und wenn sie durch den Austausch von Papierchen ihr Geld verdient hatten, wurde es ihnen vom Finanzamt wieder abgenommen, oder sie mußten lügen, um es zu behalten. Schließlich war da noch die Regierung, von der er in seiner Naivität immer angenommen hatte, sie werde gewählt, um zu regieren und den Geldwert stabil zu halten. Statt dessen gab sie mehr aus, als in der Staatskasse war, und lieh sich Geld, um das Defizit auszugleichen. Täte das ein einzelner Mann, würde er Pleite machen, und zwar zu Recht. Aber Regierungen liehen, bettelten, stahlen oder druckten einfach mehr Geld, und da war niemand, der dem einen Riegel vorschieben könnte. In Lockharts arithmetischem Denken hatte er eine Welt des Wahnsinns vorgefunden, in der zwei und zwei fünf oder sogar elf machten und nichts zum korrekten Ergebnis führte. Das war keine Welt für ihn, dieses heuchlerische Lügengebilde. »Besser ein Dieb als ein Bettler«, dachte er und fuhr weiter.
Als sie hinter Wark die Hauptstraße verließen und auf den Schotterweg nach Black Pockrington einbogen, war es fast dunkel. Über ihnen war der Himmel von ein paar Sternen gesprenkelt, und die Scheinwerfer beleuchteten Tore und manchmal die Augen eines Nachttieres, doch alles andere zeichnete sich dunkel, kahl und umrißhaft vor dem Horizont ab. Jessica geriet in Verzückung.
»O Lockhart, es ist wie eine andere Welt.«
»Es ist eine andere Welt«, sagte Lockhart.
Als sie schließlich die Anhöhe Tombstone Law erreicht
hatten, schauten sie über das Tal zum Herrenhaus hinüber, dessen sämtliche Fenster hell erleuchtet waren.
»O wie himmlisch!« rief

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