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Familienbande

Familienbande

Titel: Familienbande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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womöglich könnte er dir bei der Festlegung des Zeitpunktes deiner Empfängnis helfen.«
Doch als sie Dr. Magrew im Arbeitszimmer fanden, wo er seine Füße am Kaminfeuer wärmte, konnte der nur wenig Neues berichten.
»Meiner Erinnerung nach«, sagte er, »warst du, gelinde gesagt, eine Frühgeburt und hast dich hauptsächlich dadurch hervorgehoben, daß du scheinbar mit Masern auf die Welt kamst. Eine Fehldiagnose, wie ich zugeben muß, die aber dadurch verständlich wird, daß ich mich selten oder nie einem Baby gegenübergesehen hatte, das in einem Brennesselfeld das Licht der Welt erblickte. Aber eindeutig als Frühgeburt, deshalb würde ich deine Empfängnis nicht früher als Februar und nicht später als März 1956 ansetzen. Daraus muß ich schließen, daß sich dein Vater während dieser Zeit ganz in der Nähe dieser Gegend und deiner Mutter aufhielt. Ich bin froh, sagen zu können, daß ich als Kandidat für deine Vaterschaft ausscheide, da ich zu dieser Zeit glücklicherweise außer Landes weilte.«
»Sah er bei seiner Geburt denn nicht wie irgendwer aus, den sie kannten?« fragte Jessica.
»Meine Liebe«, sagte Dr. Magrew, »eine Frühgeburt, die, weil seine Mutter vom Pferd fiel, aus deren Schoß in ein Brennesselfeld geschleudert wurde, sieht zweifellos wie nichts anderes auf dieser Welt aus. Ich hätte Bedenken, irgendeinen Mann mit der Behauptung zu verleumden, Lockhart habe bei der Geburt wie er ausgesehen. Möglicherweise wie ein Orang-Utan, aber ein häßlicher. Nein, du mußt dich bei deiner Suche wohl an andere Kriterien als Familienähnlichkeit halten.«
»Und wie steht‘s mit meiner Mutter?« sagte Lockhart. »Sie hatte doch bestimmt Freunde, die mir irgendwelche Anhaltspunkte geben können.«
Dr. Magrew nickte. »Deine heutige Anwesenheit hier scheint ein überzeugender Beweis ersterer Vermutung zu sein«, sagte er. »Bedauerlicherweise wird letztere durch die Anwesenheit deines Großvaters überaus unwahrscheinlich.«
»Können Sie uns sagen, was für ein Mensch Lockharts Mutter war?« fragte Jessica.
Dr. Magrew machte ein ernstes Gesicht. »Belassen wir es bei der Auskunft, daß sie ein wildes Ding war und zu unüberlegten Handlungen neigte«, sagte er. »Aye, und zu ihrer Zeit war sie auch eine Schönheit.«
Viel mehr vermochten sie ihm nicht zu entlocken. Am nächsten Morgen ließen sie sich von Mr. Bullstrode mitnehmen, der über Nacht geblieben war, und verließen das Herrenhaus mit Mrs. Flawses Brief an Mr. Treyer im Gepäck.
»Meine Liebe«, sagte der alte Mr. Flawse und tätschelte Jessicas Hand ein Ideechen lüsterner, als ihre Beziehung verlangte, »du hast zwar einen Trottel geheiratet, wirst aber einen Mann aus ihm machen. Besuch mich noch einmal, bevor ich sterbe. Ich mag Frauen mit Charakter.«
Eine traurige Jessica stieg in das Auto. »Sie müssen mich für schrecklich sentimental halten«, sagte sie.
»Natürlich biste das, mein Muli«, sagte der alte Mann, »und genau das bewundere ich an dir. Wo Gefühlsduselei ist, findet sich auch Mumm. Das mußt du von deinem Vater haben. Mit dem Rückgrat deiner Mutter ist es nicht weit her, es ist so weich wie eine Nacktschnecke.«
Mit diesen Abschiedsworten ließen sie das Herrenhaus hinter sich. Im Hintergrund setzte die ältere Mrs. Flawse Nacktschnecken auf ihre Rachespeisenkarte.
Zwei Tage später fand Lockhart sich zum letztenmal bei Sandicott & Partner ein, wo er Mr. Treyer den Umschlag mit Mrs. Flawses Anweisungen überreichte. Eine halbe Stunde später ging er wieder, während hinter ihm Mr. Treyer sämtlichen Göttern, die es in der Umgebung der Wheedle Street geben mochte, insbesondere Janus, dafür dankte, daß man ihn endlich angewiesen hatte, die schauderhafte Belastung für die Firma Sandicott & Partner, die sich hinter dem Namen Lockhart Flawse verbarg, zu feuern, rauszuschmeißen, zu entlassen und ganz allgemein seine Sachen packen zu schicken. Der Brief von Lockharts Schwiegermutter war in ganz ähnlichen Worten gehalten wie das Testament des alten Herrn, und diesmal hatte Mr. Treyer nichts verdrehen müssen. Lockhart brummte der Kopf von Mr. Treyers Ansichten, als er das Büro verließ und nach Hause kam, um Jessica die seltsame Entwicklung zu schildern.
»Aber weshalb sollte Mami so etwas Scheußliches tun?« fragte sie.
Lockhart fiel keine Antwort ein. »Vielleicht kann sie mich nicht leiden«, schlug er vor.
»Natürlich mag sie dich, Liebling. Hätte sie dich nicht leiden können, hätte sie nie zugelassen, daß

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