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Familienbande

Familienbande

Titel: Familienbande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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geborener Atavismus, mit Begabungen, von denen der alte Mann nie etwas geahnt hatte, und die er einfach bewundern mußte. Und schließlich war er kein Bastardenkel. Mr. Flawse ging in sein Arbeitszimmer und schloß die Tür. Dann setzte er sich ans Kaminfeuer und ließ im stillen seiner Trauer und seinem Stolz freien Lauf. Die Trauer galt ihm selbst; der Stolz seinem Sohn. Einen Augenblick kam ihm der Gedanke, Selbstmord zu begehen, den er umgehend wieder verwarf. Er mußte sich bis zum bitteren Ende in sein Schicksal fügen. Alles Weitere war Sache der Vorsehung.
     

Kapitel 13
     
    Allerdings irrte der Alte in mindestens zwei Punkten. Lockhart überließ nichts der Vorsehung. Während sich Mrs. Flawse, im Dunkeln des Festsaals kauernd, über Lockharts erstaunliche Kenntnis ihrer Gedankengänge und Handlungen wunderte, stieg dieser in den ersten Stock des steinernen Turms und dann über hölzerne Leitern auf die Zinnen. Dort ertappte er Mr. Dodd dabei, wie der sein eines gutes Auge mit einer gewissen Zuneigung über die trostlose, unnahbare, ihm irgendwie wesensverwandte Landschaft blicken ließ. Mr. Dodd, ein rauher Mann in einer finsteren und rauhen Welt, war ein Diener ohne eine Spur von Servilität. Mit Unterwürfigkeit oder der Vorstellung, daß die Welt ihm seinen Lebensunterhalt schuldig sei, hatte er nichts im Sinn. Er verdiente sich sein Brot durch harte Arbeit und eine erworbene Gerissenheit, die mit Mrs. Flawses Berechnung so viel zu tun hatte wie Sandicott Crescent mit der Flawse-Hochebene. Und hätte es jemand gewagt, ihm als Diener verächtlich zu begegnen, hätte er demjenigen ins Gesicht gesagt, daß in seinem Fall der Diener der Herr im Haus sei, und ihm mit seinen Fäusten die einfache Wahrheit eingehämmert, daß er es mit jedem aufnehmen konnte, ob Herr, Diener oder betrunkener Aufschneider. Kurzum, Mr. Dodd war sein eigener Herr und ging seine eigenen Wege. Daß sein Weg der des alten Mr. Flawse war, beruhte auf gegenseitiger Respektlosigkeit. Wenn Mr. Dodd dem Alten gestattete, ihn einfach Dodd zu nennen, dann nur, weil er wußte, daß Mr. Flawse auf ihn angewiesen war und trotz all seiner Autorität und Gelehrsamkeit weit weniger über die real existierende Welt und deren Tücken Bescheid wußte als Mr. Dodd, der deshalb mit einer gewissen Herablassung im Stollen auf der Seite lag und Kohle aus einem Flöz schlug, die er in Flachkörben ins Arbeitszimmer des Alten trug, damit der es warm hatte. In dem gleichen Bewußtsein seiner Bedeutung und seiner generellen Überlegenheit hüteten er und sein Hund auf den Hochebenen die Schafe und beaufsichtigten im Schnee die Geburten von Lämmern. Seine Aufgabe war es, sie zu beschützen, wie es auch seine Aufgabe war, Mr. Flawse zu beschützen, und während er den einen das Fell über die Ohren zog, aß und wohnte er auf Kosten des anderen, alle miteinander beschützend.
»Hast dem Weib bestimmt eine Heidenangst eingejagt«, sagte er, als Lockhart auf das Dach kletterte, »aber die hält nicht vor. Wenn du nicht rasch handelst, schnappt sie dir dein Erbe weg.«
»Darüber wollte ich mit Ihnen reden, Mr. Dodd«, sagte Lockhart. »Mr. Bullstrode und Dr. Magrew konnten sich an keine Freunde meiner Mutter erinnern. Sie muß doch welche gehabt haben.«
»Aye, die hatte sie,« sagte Mr. Dodd und trat von einem Bein aufs andere.
»Können Sie mir nicht welche nennen? Irgendwo muß ich auf der Suche nach meinem Vater anfangen.«
Eine Zeitlang schwieg Mr. Dodd. »Kannst dich ja mal bei Miss Deyntry drüben in Farspring umhören«, sagte er endlich. »War eine gute Freundin deiner Mutter. Du findest sie in Divet Hall. Vielleicht kannse dir etwas erzählen, was dir weiterhilft. Wer anders fällt mir nich ein.«
Lockhart stieg die Leiter hinunter und verließ den Wehrturm. Er wollte sich von seinem Großvater verabschieden, doch als er am Arbeitszimmerfenster vorbeikam, blieb er stehen. Der alte Mann saß mit tränenüberstömten Wangen am Feuer. Traurig schüttelte Lockhart den Kopf. Es war nicht die Zeit, Abschied zu nehmen. Statt dessen öffnete er das Tor und beschritt den zum Staudamm führenden Weg. Als er den Damm überquerte, warf er einen Blick zurück auf das Haus. Im Arbeitszimmer brannte immer noch Licht, und auch im Zimmer seiner Schwiegermutter war es noch hell, doch davon abgesehen lag Flawse Hall im Dunkeln. Er betrat den Kiefernwald und bog auf einen Seitenweg ab, der am felsigen Ufer des Sees entlangführte. Ein leichter Wind war aufgekommen, und

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