Familienbande
erfaßte. Und wenn sie sprachen œ womit keine Reden oder Streitgespräche bei Tisch gemeint waren œ, machten sie wenig Worte. Daher war die Kürze von Mr. Dodds Botschaft Beleg ihrer besonderen Dringlichkeit, und Lockhart kam. Er schwang sich über die letzte Mauer, eilte über den Staudamm und den Weg zum Herrenhaus hinunter. Und mit dem gleichen Instinkt, der ihm verriet, daß Mr. Dodd schlechte Nachrichten hatte, hütete er sich, das Haus durch den Haupteingang zu betreten. Er schlich sich nach hinten und durch das Tor in den Garten, wo Dodd sein Werkzeug verwahrte und sich aufhielt, wenn er allein sein wollte. Dort schnitzte Mr. Dodd gerade an einem Stock, leise eine uralte Melodie vor sich hinpfeifend.
»So, Mr. Dodd, hier bin ich«, sagte Lockhart.
Mr. Dodd schaute auf und deutete auf einen dreibeinigen Melkschemel. »Es ist das olle Miststück«, sagte er, ohne sich mit langen Vorreden aufzuhalten, »sie hat sich vorgenommen, den Mann umzubringen.«
»Großvater umbringen?« sagte Lockhart, der die Identität des Mannes kannte. Mr. Dodd nannte Mr. Flawse immer »den Mann«.
»Aye, erst überfüttert sie ihn, dann kippt sie ihm Brandy in seinen Port, und jetzt ist sie dazu übergegangen, sein Bett zu nässen.«
Lockhart sagte nichts; Mr. Dodd würde die Erklärung nachreichen.
»Neulich war ich abends in der Whiskywand«, sagte Mr. Dodd, »da kimmt das olle Miststück mit einem Krug Wasser und sprenkelt es auf sin Laken, bevor er ins Bett gout.«
»Sind Sie sicher, daß es Wasser war?« fragte Lockhart, der über den Hohlraum im Schlafzimmer Bescheid wußte, den Mr. Dodd die Whiskywand nannte. Er lag hinter der Holztäfelung, und Mr. Dodd bewahrte dort seinen heimlich gebrannten Whisky auf.
»Es roch wie Wasser. Es fühlte sich an wie Wasser, und es schmeckte wie Wasser. Es war Wasser.«
»Aber warum sollte sie ihn umbringen wollen?« fragte Lockhart.
»Damit sie erbt, bevor du deinen Vater findest«, sagte Mr. Dodd.
»Aber was würde ihr das nützen? Auch nach Großvaters Tod brauche ich nur meinen Vater zu finden, damit sie ihr Erbe verliert.«
»Stimmt«, sagte Mr. Dodd, »aber woher weiß man, ob du ihn findest, und selbst dann gilt, daß das Recht immer auf Seiten der Besitzenden steht. Du wirst eine Mordsarbeit damit haben, sie von hier zu vertreiben, wenn der Mann erstmal tot ist und du keinen Vater vorweisen kannst. Sie wird‘n Prozeß anstrengen, und dir fehlt das Geld, um sie zu bekämpfen.«
»Ich werd‘s haben«, sagte Lockhart grimmig. »Wenn es soweit ist, hab ich es.«
»Dann isses zu spät, Mann«, sagte Mr. Dodd, »du mußt sofort was unnernehm‘.«
Sie saßen schweigend beisammen und dachten über die verschiedenen Möglichkeiten nach. Keine von ihnen war besonders angenehm.
»Ein schlimmer Tag, an dem der Mann sich ‘n mörderisches Weib genommen hat«, erklärte Mr. Dodd und spaltete den Stock in zwei Hälften, um seinen Wünschen bildlich Ausdruck zu verleihen.
»Sollten wir nicht Großvater Bescheid sagen?« sagte Lockhart, doch Mr. Dodd schüttelte den Kopf.
»Er ist von Schuldgefühlen zerfressen und bereit zu sterben«, sagte er. »Er würde sie lachend zur Witwe machen, damit sie sich in ihr Schicksal fügt, wie‘s in den ollen Büchern steht. Er legt kein‘ Wert darauf, noch lange zu leben.«
»Schuldgefühle?« sagte Lockhart, »was für Schuld?«
Mr. Dodd schaute ihn eigenartig an und schwieg.
»Aber irgend etwas müssen wir doch unternehmen können«, sagte Lockhart nach einer langen Pause. »Wenn sie weiß, daß wir wissen ...«
»Dann wird ihr was anderes einfallen«, erklärte Mr. Dodd. »Sie ist zwar ein raffiniertes altes Miststück, aber ich hab‘ sie durchschaut.«
»Also was nun?« sagte Lockhart.
»Ich denke immer wieder an Unfälle«, sagte Mr. Dodd. »Sie sollte wirklich nicht im Stausee schwimmen gehen.« »Wußte gar nicht, daß sie das macht«, sagte Lockhart. »Was nicht ist, kann noch werden.« Lockhart schüttelte den Kopf. »Sie könnte auch abstürzen«, befand Mr. Dodd mit einem
Blick auf den alten Wehrturm, »soll schon vorgekommen sein.«
Aber Lockhart war dagegen. »Sie gehört zur Familie«, sagte er. »Ich möchte die Mutter meiner Frau erst töten, wenn es unbedingt nötig ist.«
Mr. Dodd nickte. Diese Einstellung konnte er nachfühlen. Da er selbst so wenig Verwandte hatte, waren ihm die wenigen, die er besaß, besonders teuer.
»Du mußt was unternehm‘, sonst erlebt er den Frühling nich.« Lockharts Finger kritzelten einen Galgen in den
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