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Familienbande

Familienbande

Titel: Familienbande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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Maulsperre und Mr. O‘Brain an Tollwut. Er hatte Schaum vor dem Mund und brüllte unausgesetzt derart spezielle Schimpfwörter, daß diese wohl nur seinem beruflichen Interesse an der weiblichen Anatomie entstammen konnten. Als er schließlich alle zehn Polizisten, die ihn an den Schultern beziehungsweise den Hund an den Hinterbeinen festhielten, unflätigst beschimpft hatte, war ihnen die Lust vergangen, ihre berühmte Nachsicht walten zu lassen.
»Bringt sie beide in den Krankenwagen«, befahl der Sergeant, ohne den Oberst zu beachten, der nach seinem Haustier verlangte, und so wurde Mr. O‘Brain samt dem Bullterrier in den Krankenwagen verfrachtet und in aller Eile fortgeschafft. Inzwischen sahen sich forensische Experten in den Trümmern des Hauses vorsichtig nach der Explosionsursache um.
»Die IRA hat ihn bedroht«, teilte ihnen der Sergeant mit. »Sieht aus, als hätte sie ihn erwischt.« Doch als sich die Experten schließlich entfernten, waren sie immer noch verwirrt. Es gab keinerlei Anzeichen für einen Sprengstoffeinsatz, und doch war das Haus nur noch eine Ruine.
»Muß was völlig Neues gewesen sein«, erzählten sie auf dem Polizeirevier den Beamten des Staatsschutzes. »Seht mal zu, ob ihr aus dem Mann was rauskriegt.«
Doch Mr. O‘Brain war alles andere als kooperativ. Die Arbeit des Tierarztes, den man geholt hatte, damit er den Bullterrier soweit betäubte, daß der seinen Biß lockerte, war dadurch erschwert worden, daß Mr. O‘Brain sich weigerte, still zu liegen, und nachdem er zweimal versucht hatte, dem Hund eine Injektion zu verpassen, hatte der kurzsichtige Tierarzt schließlich die Geduld verloren und Mr. O‘Brain eine Spritze verpaßt, die ausreichte, um ein Nashorn zu sedieren. In diesem Fall entspannte sich der Gynäkologe als erster und verfiel in einKoma. In der Überzeugung, sein Opfer sei tot, ließ der Bullterrier los und wurde mit einem selbstzufriedenen Ausdruck ums Maul fortgeführt.
In Sandicott Crescent Nummer 12 trug Lockhart einen ganz ähnlichen Gesichtsausdruck zur Schau.
»Ist schon in Ordnung«, sagte er zu Jessica, die sich darüber grämte, daß eines ihrer Häuser weitgehend zerstört worden war, »im Mietvertrag steht, daß der Bewohner jeden während seiner Mietzeit entstandenen Schaden ersetzen muß.«
»Aber was kann denn so eine Explosion verursacht haben? Es sieht schließlich aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen.«
Lockhart trug Oberst Finch-Potters Auffassung vor, daß Mr. O‘Brain Bomben gebastelt habe, und ließ es dabei bewenden.
Für eine Weile ließ er auch seine Aktionen ruhen. Im Viertel tummelten sich Polizisten, die auf der Suche nach versteckten IRA-Grüppchen sogar in das Vogelschutzgebiet eingefallen waren, und zudem gingen ihm andere Dinge durch den Kopf. Ein Telegramm von Mr. Dodd war eingetroffen. In der dem Manne eigenen sparsamen Wortwahl enthielt es lediglich die Worte »komm dodd«. Lockhart ging, und mit Tränen in den Augen blieb Jessica zurück, der er versprach, bald wiederzukommen. Er nahm den Zug nach Newcastle, von dort weiter nach Hexham, wo er in den Bus nach Wark umstieg. Von da ab bewältigte er zu Fuß mit den raumgreifenden Schritten eines Schäfers den direkten Weg über das Hochland nach Flawse Hall, setzte leichtfüßig über die Bruchsteinmauern und überwand die sumpfigen Stellen, indem er von einem trockenen Grasballen zum nächsten sprang. Und die ganze Zeit über zerbrach er sich den Kopf, weshalb Mr. Dodd eine so dringende Nachricht schickte, war aber gleichzeitig froh, einen Grund zu haben, wieder in dem Land zu sein, an dem sein Herz hing. Dies war keine bloße Floskel. Die Abgeschiedenheit seiner Jugendjahre hatte Lockhart mit dem Bedürfnis nach Weite und mit Liebe zu der leeren Moorlandschaft seiner erfolgreichen Jagden erfüllt. Daß er im Sandicott Crescent so verheerende Schäden anrichtete, war ebensosehr Ausdruck seines Hasses auf die dortige Enge, den dezenten Snobismus und die bedrückende gesellschaftliche Atmosphäre wie der Versuch, Jessicas Recht auf den Verkauf ihres Privateigentums durchzusetzen. Im Süden herrschte überall nur Heuchelei, und jedes Lächeln tarnte Spott und Hohn. Lockhart und die Flawses lächelten selten, und wenn, gab es einen besonderen Grund, etwa über einen heimlichen Scherz oder die Absurdität von Mensch und Natur. Alles andere betrachteten sie mit langem Gesicht und durchdringendem Blick, der einen Menschen oder die Entfernung eines Ziels mit unfehlbarer Präzision

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