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Familienbande

Familienbande

Titel: Familienbande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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zu schlafen. Ich bin hier, um Ihnen eine Frage zu stellen.«
»Frage? Was für eine Frage? Die Fragen der meisten Leute beantworte ich nicht. Kann mir nicht vorstellen, daß ich deine beantworten werde«, sagte Miss Deyntry abgehackt.
»Wer war mein Vater?« fragte Lockhart, der von Mr. Dodd gelernt hatte, keine Zeit mit Vorreden zu verplempern. Das überrumpelte selbst Miss Deyntry.
»Dein Vater? Du willst von mir wissen, wer dein Vater war?«
»Ja«, sagte Lockhart.
Miss Deyntry stocherte an einer Speckscheibe herum. »Du
weißt es nicht?« fragte sie nach einer Pause.
»Würde nicht fragen, wenn ich‘s wüßte.«
»Nimmt kein Blatt vor den Mund«, bemerkte sie, wieder
anerkennend. »Und wie kommst du auf den Gedanken, ich wüßte, wer dein Vater ist?«
»Mr. Dodd hat es gesagt.«
Miss Deyntry schaute von der Pfanne auf. »Aha, Mr. Dodd hat das also gesagt?«
»Aye, er sagte, Sie seien ihre Freundin gewesen. Wenn sie es wem erzählt hat, dann Ihnen.«
Doch Miss Deyntry schüttelte den Kopf. »Das hätte sie genausogut dem Pfarrer von Chiphunt Castle gebeichtet, obwohl der ein Papist und obendrein Schotte ist, während sie und dein Großvater schrecklich gottlose Unitarier waren; genauso wahrscheinlich wäre es, wenn Spaniel Eier legten«, sagte Miss Deyntry, wobei sie am Rand der Eisenpfanne Eier zerbrach und ins Fett warf.
»Unitarier?« sagte Lockhart. »Wußte gar nicht, daß mein Großvater Unitarier ist.«
»Ich bezweifle, daß er es selber weiß«, sagte Miss Deyntry, »aber er liest nun mal dauernd Emerson und Darwin und die Windbeutel aus Chelsea, und da hat man sämtliche unitarischen Zutaten, man braucht sie nur noch im richtigen Verhältnis zu mischen.«
»Dann wissen Sie also, wer mein Vater ist?« sagte Lockhart, der nicht vorhatte, sich in theologische Erörterungen verwickeln zu lassen, bevor er sich an Speck mit Eiern satt gegessen hatte. Miss Deyntry fügte noch Champignons hinzu.
»Das habe ich nicht gesagt«, entgegnete sie, »ich sagte, sie hat
es mir nicht verraten. Ich könnte mir denken, wer es war.« »Wer?« sagte Lockhart. »Ich sagte, ich könnte es mir denken, aber nicht, daß ich es
verraten würde. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste, soviel hab ich im Leben gelernt, und ich möchte keinen verleumden.«
Sie stellte zwei mit Eiern, Speck und Champignons beladene Teller auf den Tisch. »Iß und laß mich nachdenken«, sagte sie und griff zu Messer und Gabel. Sie aßen schweigend und tranken geräuschvoll Tee aus großen Bechern. Miss Deyntry goß ihren in eine Untertasse und schlürfte ihn dann. Als sie fertig waren und sich die Münder gewischt hatten, stand sie auf, verließ das Zimmer und kam nach ein paar Minuten mit einer mit Perlmutt ausgelegten Holzschachtel zurück.
»Miss Johnson hast du wohl nicht gekannt«, sagte sie und legte die Schachtel auf den Tisch. Lockhart schüttelte den Kopf. »Sie war Postamtsvorsteherin drüben in Ryal Bank, und wenn ich Postamtsvorsteherin sage, heißt das nicht, daß sie einen eigenen Laden leitete. Sie trug die Post mit einem alten Fahrrad selbst aus und wohnte in einem Häuschen an der Dorfgrenze. Vor ihrem Tod gab sie mir das hier.«
Neugierig betrachtete Lockhart die Schachtel.
»Die Schachtel ist unwichtig«, sagte Miss Deyntry, »auf den Inhalt kommt es an. Die alte Frau war eine sentimentale Person, was man nicht vermutet hätte, wenn man sie reden hörte. Sie hielt sich Katzen, und wenn sie an einem Sommertag ihre Runde beendet hatte, saß sie inmitten von Katzen und Kätzchen neben der Haustür in der Sonne. Eines Tages besuchte sie ein Schäfer mit seinem Hund, und dem Hund gefiel es, eins der Kätzchen zu töten. Miss Johnson zuckte nicht mit der Wimper, sondern sagte: ‹Du solltest deinem Köter öfter mal wat zu freten geven.¤ So war Miss Johnson. Große Sentimentalitäten hätte man ihr also
nicht zugetraut.«
Lockhart lachte, worauf Miss Deyntry ihn musterte.
»Du schlägst ganz nach deiner Modder. Die hat genauso gegrölt, aber da ist noch was anderes.« Sie schob ihm die Schachtel zu und öffnete den Deckel. Im Inneren lag ein ordentlich von einem Gummiband zusammengehaltener Packen Briefumschläge.
»Nimm sie«, sagte sie, nahm die Hand aber nicht von der Schachtel. »Ich hab der alten Frau versprochen, die Schachtel niemals einem anderen Menschen in die Hände zu geben, aber über den Inhalt hat sie nichts gesagt.«
Lockhart nahm das Bündel heraus und sah die Umschläge durch. Alle waren an Miss C.R. Flawse

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