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Familienbande

Familienbande

Titel: Familienbande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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Menge von Präservativen ließ darauf schließen, daß der alte Junggeselle privaten Leidenschaften frönte, die sich hervorragend verwerten ließen.
Und so saß Lockhart die nächste Woche in einem abgedunkelten Zimmer, von dem aus man die Nummer 10 überblickte, und hielt von sieben Uhr morgens bis zehn Uhr abends Wacht. Freitagabend sah er den uralten Humber des Obersten vorfahren, dem eine Frau entstieg, die mit dem Oberst das Haus betrat. Sie war um etliches jünger als Oberst Finch-Potter und weit auffälliger gekleidet als die meisten Frauen, die in den Sandicott Crescent kamen. Zehn Minuten später ging im Schlafzimmer des Obersten das Licht an, so daß Lockhart sich die Frau genauer ansehen konnte. Sie gehörte in die Kategorie, die sein Großvater Metzen nannte. Dann zog der Oberst die Vorhänge zu. Wenige Minuten später ging die Küchentür auf, und der Bullterrier wurde in den Garten gescheucht; offensichtlich hatte der Oberst etwas dagegen, daß er sich zur selben Zeit wie seine Metze im Haus aufhielt.
Lockhart ging nach unten, trat an den Zaun und pfiff leise, bis der Bullterrier herüberwatschelte. Lockhart griff durch den Zaun und streichelte das Tier, woraufhin der Bullterrier mit seinem winzigen Stummelschwanz wackelte. Und so schloß Lockhart im Garten Freundschaft mit dem Hund, während der Oberst im ersten Stock seine Freundin in die Arme schloß. Um Mitternacht hockte Lockhart noch immer am Zaun und streichelte den Hund, als die Haustür aufging; das Paar kam heraus und setzte sich in den Humber. Lockhart merkte sich die Uhrzeit und richtete seine Pläne danach.
Am folgenden Tag fuhr er nach London und trieb sich in Soho herum. Er setzte sich in Cafés und sogar in Striptease-Shows, die ihn anekelten, bis er schließlich mit einem kränklichen jungen Mann Bekanntschaft schloß, von dem er das bekam, wonach er suchte. Er kam mit etlichen winzigen Tabletten in der Tasche nach Hause, die er in der Garage versteckte. Mit seinem nächsten Schachzug wartete er bis zum folgenden Mittwoch. Mittwochs spielte Oberst Finch-Potter achtzehn Bahnen Golf und war den ganzen Vormittag über abwesend. Lockhart huschte nach nebenan in die Nummer 10, unter dem Arm eine Dose Ofenreiniger. Auf dem Etikett wurde empfohlen, Gummihandschuhe zu tragen. Lockhart trug sie aus zwei Gründen: Erstens hatte er nicht die Absicht, bei so viel Polizei in der Gegend Fingerabdrücke im Haus zu hinterlassen; zweitens hatte er etwas ganz anderes vor, als den Ofen zu putzen. Der Bullterrier begrüßte ihn freudig, und gemeinsam gingen sie in das Schlafzimmer des Obersten und dessen Schubladen durch, bis Lockhart fand, was er suchte. Dann stahl er sich, nachdem er den Kopf des Hundes getätschelt hatte, aus dem Haus und über den Zaun zurück.
An diesem Abend löschte er zum Zeitvertreib sämtliche Lichter bei den Pettigrews. Dabei ging er ganz einfach vor. Am Ende einer Nylonschnur befestigte er ein Stück stabilen Draht von einem Kleiderbügel, das er über die beiden Kabel der vom Strommast in das Haus führenden Leitung warf. Daraufhin gab es einen Blitz, und die Pettigrews verbrachten den Rest der Nacht im Dunkeln. Lockhart verbrachte ihn damit, Jessica von der alten Zigeunerin und Miss Deyntry zu erzählen.
»Hast du dir die Briefe denn noch nicht angesehen?« fragte Jessica.
Das hatte Lockhart nicht. Die Weissagung der Zigeunerin hatte jeden Gedanken daran aus seinem Kopf verdrängt, außerdem hatte ihre letzte Weissagung, daß Papier Holz sei und Papier und Tinte ihm nicht helfen würden, eh‘ er seine Gabe nicht zurückbekäme, seine abergläubische Ader getroffen und ihn beunruhigt. Was hatte sie damit gemeint, daß er die Gabe des Wortes und eine Zunge zum Singen habe, und mit drei offenen Gräbern und einem, das noch leer bleibe? Und mit dem Gehängten am Baum? Lauter Prophezeiungen einer schrecklichen Zukunft. Lockharts Gedanken drehten sich zu sehr um die Gegenwart, und wenn er eine Gabe vorhersah, dann eine, die vom Verkauf aller zwölf Häuser in Sandicott Crescent herrührte, der, wie er bereits errechnet hatte, Jessica zu heutigen Preisen sechshunderttausend Pfund brutto einbringen würde.
»Aber wir müssen doch Steuern zahlen, oder?« sagte Jessica, als er erklärte, sie würde in Kürze eine reiche Frau sein. »Außerdem wissen wir doch noch gar nicht, ob alle ausziehen werden ...«
Sie ließ die Frage offen, doch Lockhart beantwortete sie nicht. Er wußte es.
»Reden ist Silber, Schweigen ist Gold«, sagte er

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