Familienbande
diesem Fall habe ich meine Zweifel.«
»Aber es muß überhaupt nicht in den Nachrichten auftauchen«, sagte der Stellvertretende Polizeichef. »In so einem Fall ziehen wir das Gesetz zum Schutz von Staatsgeheimnissen heran.«
Der Chef nickte zustimmend. »Dafür brauchen wir die Zustimmung des Kriegsministeriums«, sagte er.
»Nun, die Hubschrauber könnten vom Stützpunkt in Porton Downs gekommen sein, wo sich die Forschungsstation für Biologische Kriegführung befindet.«
»Zufällig kamen sie aber von woanders, und zwar erst, als das Ding schon gelaufen war.«
»Aber das weiß keiner«, sagte der Stellvertretende Polizeichef, »und Sie wissen doch, wie unterbelichtet die Heeresführung ist. Das wichtigste ist, ihnen zu drohen, wir würden ihnen die Schuld in die Schuhe schieben, und ...«
Schließlich kam man in einer Lagebesprechung des Innenministers, des Verteidigungsministers und des Polizeichefs überein, die Ereignisse in Sandicott Crescent geheimzuhalten, und nachdem man sich auf das Notstandsgesetz sowie das Gesetz zum Schütze von Staatsgeheimnissen berufen hatte, wies man die Herausgeber sämtlicher Zeitungen an, kein Wort über die Tragödie zu veröffentlichen. BBC und ITV erhielten ähnliche Anweisungen, und so tauchte in den Abendnachrichten nur die Meldung auf, der Tanklastzug sei explodiert und habe dabei den Schnellzug London-Brighton in Brand gesetzt.Sandicott Crescent wurde abgeriegelt, und als Übung zur Eindämmung der Tollwut schlichen mit Gewehren bewaffnete Scharfschützen des Heeres durch das Vogelschutzgebiet, wo sie alles erschossen, was sich regte. Sie fanden lediglich Vögel, und so verwandelte sich das Wäldchen aus einem Schutzgebiet in einen Friedhof. Zu seinem Glück bewegte sich der Bullterrier nicht. Er lag vor der Küchentür des Obersten und schlief tief und fest. Von Lockhart und Jessica abgesehen, war er so ziemlich das einzige Lebewesen, das sich nicht bewegte. Mr. Grabble, den der Ausbruch der Kanalisation aus seinem Haus vertrieben hatte, brachte am Nachmittag die Kündigung vorbei, seine von Chemikalien verätzten Füße steckten in Schlafzimmerlatschen. Mr. Rickenshaw gelang es endlich, seine Frau ins Krankenhaus zu bringen, und die Pettigrews verbrachten den Nachmittag mit Packen. Sie zogen noch vor Einbruch der Dunkelheit aus. Die Lowrys waren bereits ausgezogen und wurden mitsamt mehreren Feuerwehrleuten, dem Polizeikommissar und etlichen seiner Männer in der örtlichen Seuchenklinik gegen Tollwut geimpft. Sogar Mrs. Simplon war fortgeschafft worden, in einem bedrohlichen Plastikbeutelchen, was Mrs. Ogilvie derart aufregte, daß man ihr Beruhigungsmittel verabreichen mußte.
»Wir sind als letzte noch übrig«, jammerte sie, »alle anderen sind fort. Ich will auch weg. All die viele Toten da draußen... Nie wieder kann ich einen Blick auf den Golfplatz werfen, ohne sie am Dogleg-Fairway des neunten liegen zu sehen.«
Diese Bemerkung erinnerte Mr. Ogilvie an Hunde und Beine. Auch er würde sich hier nie wieder so wie früher fühlen können. Eine Woche später zogen sie ebenfalls aus, und Lockhart und Jessica überblickten von ihrem Schlafzimmerfenster aus elf leere Häuser, von denen jedes einzelne auf einem ansehnlichen und gut gepflegtem Grundstück stand (abgesehen von Mr. O‘Brains Bauhaus, das ein wenig weggesackt war), in einer scheinbar attraktiven Wohngegend in unmittelbarer Nähe Londons und direkt neben einem hervorragendem Golfclub, dessen Warteliste sich vor kurzem durch gewisse Ereignisse beträchtlich gelichtet hatte. Als die Bauarbeiter anrückten, um die Häuser in ihren ursprünglichen œ beziehungsweise, im Fall von Mr. Grabbles Haus, in einen hygienisch einwandfreien œ Zustand zu versetzen, fand Lockhart Zeit, seine Aufmerksamkeit anderen Dingen zu widmen.
Beispielsweise gab es da die Kleinigkeit von Miss Geneviève Goldrings in Kürze erscheinendem Roman, Lied des Herzens, zu bedenken. Lockhart gewöhnte sich an, das Buchhandelsblatt zu kaufen, um das Erscheinungsdatum in Erfahrung zu bringen. Da Miss Goldring es schaffte, unter diversen Pseudonymen fünf Bücher pro Jahr zu schreiben, sah ihr Verlag sich durch ihren enormen Ausstoß gezwungen, in jedem Jahr zwei Goldring-Romane auf den Markt zu werfen. Es gab einen Goldring-Roman im Frühlingsprogramm und einen im Herbst. Lied des Herzens tauchte im Herbstprogramm auf und erschien im Oktober. Lockhart und Jessica beobachteten, wie das Werk innerhalb von drei Wochen von Platz neun auf der
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