Familienbande
ist ...«
»War«, korrigierte ihn Mr. Taglioni, »ich nix lassen drin.« »Meinetwegen war«, fuhr Lockhart fort, »und dann will ich diesen Empfänger in seinem Kopf installiert haben.« Er zeigte den Miniempfänger Mr. Taglioni, doch der blieb hart.
»Kein Platz. Ganzes Kopf voll Watte.«
»Dann nehmen Sie eben etwas raus, bauen dieses Ding ein und lassen noch Platz für die Batterien. Und wenn Sie schon mal dabei sind: Seine Kinnlade soll sich bewegen. Hier habe ich einen Elektromotor. Sehen Sie, ich zeige Ihnen das Ding.«
Den Vormittag über wurde der verstorbene Mr. Flawse verkabelt, und als sie fertig waren, konnte man seinen Herzschlag hören, sobald ein Schalter betätigt wurde. Sogar seine Augen œ mittlerweile die eines Tigers œ drehten sich im Kopf, wenn man einen Knopf der Fernbedienung drückte. So ziemlich das einzige, was er nicht konnte, war gehen oder sich flach hinlegen. Ansonsten hatte er schon seit geraumer Zeit nicht mehr so gesund ausgesehen, und er befleißigte sich einer recht klaren Ausdrucksweise.
»In Ordnung«, sagte Lockhart, als sie seine Funktionen überprüft hatten. »Jetzt können Sie sich einen genehmigen.« »Wer?« fragte der inzwischen völlig verwirrte Mr. Taglioni.
»Er oder ich?«
»Sie«, sagte Lockhart und ließ ihn mit sich und dem Inhalt des Weinkellers allein. Oben angekommen, fand er einen ebenfalls betrunkenen Mr. Dodd vor. Sogar für eine so robuste Seele wie ihn war die aus dieser schrecklichen Puppe dringende Stimme seines Herrn zuviel gewesen, und er hatte bereits eine halbe Flasche seiner northumbrischen Hausmarke intus. Lockhart nahm ihm den Whisky ab.
»Ich brauche Ihre Hilfe, um den Alten ins Bett zu bringen«, sagte er, »er ist ein wenig hüftsteif und muß um die Ecken bugsiert werden.«
Mr. Dodd hatte Bedenken, doch gemeinsam brachten sie den in sein rotes Flanellnachthemd gekleideten Mr. Flawse schließlich im Bett unter, wo er saß und den Allmächtigen brüllend aufforderte, seine Seele zu retten.
»Sie müssen doch zugeben, daß er sehr realistisch wirkt«, sagte Lockhart. »Ein Jammer, daß wir nicht eher daran gedacht haben, seine Worte aufzunehmen.«
»Ein viel größerer Jammer, daß wir überhaupt je daran gedacht haben, sie aufzunehmen«, erklärte Mr. Dodd, blau, wie er war, »außerdem war mir lieber, seine Kinnlade würde nicht andauernd hochœ und runterklappen. Man wird unwillkürlich an einen asthmatischen Goldfisch erinnert.«
»Aber die Augen passen wirklich gut«, sagte Lockhart. »Ich hab sie von dem Tiger.«
»Das was mir ohnehin klar«, sagte Mr. Dodd und deklamierte überraschend William Blake. »‹Tiger, Tiger, glutentfacht in den Dickichten der Nacht. Welchen Gottes Griff und Schau schuf deinen grausen Unterbau?¤«
»Das war ich«, bekannte Lockhart stolz, »außerdem bekommt er von mir einen Rollstuhl, damit er sich ohne Hilfe durchs Haus bewegen kann, und den steuere ich per Fernbedienung. So kommt keiner auf den Gedanken, daß er nicht mehr lebt, und mir bleibt genug Zeit, um herauszufinden, ob Mr. Boscombe in Arizona mein Vater ist.«
»Boscombe? Ein Mr. Boscombe?« sagte Mr. Dodd. »Wie kommst du darauf, er könnte dein Vater sein?«
»Er hat meiner Mutter jede Menge Briefe geschrieben«, sagte Lockhart und erklärte, wie er sie bekommen hatte.
»Wenn du hinter dem herläufst, verschwendest du bloß deine Zeit«, sagte Mr. Dodd. »Miss Deyntry hatte recht. Ich kann mich an das Männlein erinnern, ein winziges Kerlchen, das deine Modder nie beachtet hat. Du solltest besser hier inner Gegend die Augen aufsperren.«
»Ich hab‘ keinen anderen Anhaltspunkt«, sagte Lockhart, »es sei denn, Sie könnten mir einen Kandidat nennen, der eher in Frage käme.«
Mr. Dodd schüttelte den Kopf. »Ich verrate dir aber eins: Das olle Miststück hat Lunte gerochen und weiß, daß der alte Mann tot ist. Gehst du nach Amerika, wird sie irgendwie das Haus verlassen und Mr. Bullstrode alarmieren. Du hast ja gesehen, was sie neulich nachts getan hat. Die Frau ist verzweifelt und gefährlich, und der Italiener unten ist ein Tatzeuge. Da haste nicht dran gedacht.«
Lockhart überlegte eine Weile. »Ich wollte ihn zurück nach Manchester bringen«, sagte er. »Er hat keine Ahnung, wo er gewesen ist.«
»Aye, aber er kennt sich prima im Haus aus, und unsere Gesichter hat er auch gesehen«, gab Mr. Dodd zu bedenken, »und wenn das Weib kreischt, man habe ihn ausgestopft, wird es der Polente nicht schwer fallen, zwei und zwei zusammenzuzählen.
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