Familienkonferenz in der Praxis
gar keine ernsten Probleme.« Diese Überzeugung ähnelt dem Widerstand gegenüber den meisten vorbeugenden Maßnahmen. Wenn man keine ernsten Krankheitssymptome hat, warum soll man sich dann gesund ernähren, regelmäßig Gymnastik betreiben oder das Rauchen aufgeben? Wenn Ihr Wagen gut läuft, haben Sie keine große Lust, ihn zur Inspektion zu geben.
»Andere Eltern brauchten solch ein Training viel nötiger.« Gewöhnlich sind mit diesen »anderen Eltern« die armen, die schlecht ausgebildeten oder die »kulturell deprivierten« gemeint. Die meisten Eltern halten an der Überzeugung fest, dass es nur in solchen Familien vorkommen könne, dass Kinder zu Kriminellen, Randexistenzen oder Drogenabhängigen würden. Alle Daten sprechen dagegen – solche Schwierigkeiten können in jeder Familie vorkommen.
»Wir haben noch so viel Zeit – unsere Kinder sind noch klein.« Diese Auffassung übersieht, dass Kinder ihre Verhaltensmuster in den ersten Lebensjahren erwerben. Hier entscheidet sich, ob sie Rücksichtnahme gegen andere, Selbstwertgefühl, Verantwortungsbewusstsein, Selbstbewusstsein – oder die entgegengesetzten Wesenszüge entwickeln. Eltern brauchen geeignete Techniken, wenn ihre Kinder noch klein sind – dann sind sie am wirkungsvollsten.
»Gestörte Kinder kommen meist aus gescheiterten Ehen.« Eine weitere irrige Annahme. Gescheiterte Ehen (Scheidungen) können auch auf Schwierigkeiten mit Kindern zurückzuführen sein. Menschen, denen es an geeigneten Verhaltensweisen in der Ehebeziehung fehlt, werden sich mit großer Wahrscheinlichkeit auch falsch in der Eltern-Kind-Beziehung verhalten. Das bedeutet, dass unter Umständen gestörte Kinder
und gescheiterte Ehen zusammen auftreten, es bedeutet aber nicht, dass das Scheitern einer Ehe die Störung der Kinder verursacht.
»Wir sind keine seelisch Kranken.« Unglücklicherweise trägt der Gedanke, Menschen in ihre Elternrolle einzuüben, das Stigma der »Therapie«, besonders wenn Eltern irgendetwas »Psychologisches« im Übungsprogramm entdecken. Der Besuch eines Kurses für Eltern heißt nicht, dass die Betreffenden »krank« sind. Der Besuch einer Sonntagsschule bedeutet ja auch nicht, dass der Betreffende ein Sünder ist.
Die ›Familienkonferenz‹ ist eine Fortbildungsmaßnahme – keine Therapie.
»Den Fachmann gibt es nicht, der mir erzählen könnte, wie ich meine Kinder zu erziehen habe.« Diese Einstellung zeigt, dass die Zielsetzung der ›Familienkonferenz‹ missverstanden wird. Sie will den Eltern nicht vorschreiben, wie sie ihre Kinder zu erziehen haben. Vielmehr unterweist sie die Eltern in erprobten Techniken und Verfahren, die zu einer effektiven, auf gegenseitiger Anerkennung beruhenden Kommunikation beitragen. Mit ihrer Hilfe sollen die Kinder ihre Probleme selbst lösen, und sie soll dazu beitragen, dass Konflikte zwischen Eltern und Kind so bewältigt werden, dass keiner verliert. Es sind also dieselben Techniken, die man verwendet, um gute Beziehungen zu irgendwelchen anderen Personen zu unterhalten – zum Ehepartner, zu Freunden, zu Mitarbeitern, zur Verwandtschaft.
Warum akzeptieren andere Eltern die Vorstellung einer solchen Ausbildung? Was sind das für Eltern, die ein Bedürfnis zum Elterntraining verspüren? Das wollten wir herausfinden. Die Interviews mit den Absolventen unseres Kurses haben uns einige Antworten geliefert.
Zuallererst haben wir begriffen, dass diese Eltern durchaus keine homogene Gruppe darstellten. In unserer Stichprobe gab es weit mehr Unterschiede als Ähnlichkeiten. Einige nahmen am Kurs teil, als ihre Kinder noch klein waren, andere hatten halbwüchsige Kinder. Manche meinten, sie seien schon recht gute Eltern, andere hielten sich für völlige Versager. Es gab Familien, in denen keine ernsthaften Probleme zu beobachten waren, und wieder andere, in denen die Eltern bereits sehr
schwer wiegende Probleme hatten. Ein paar Eltern nahmen deshalb teil, weil sie im Kurs eine weitere Möglichkeit zur Entwicklung und Entfaltung ihrer Persönlichkeit sahen. Viele Eltern waren verzweifelt oder sahen sich irgendeiner schweren Krise gegenüber. Manche kamen von allein, andere wurden von Kinderärzten oder Geistlichen überwiesen. Einige auch von der Jugendgerichtsbarkeit. Zahlreiche Eltern hatten ihr erstes Kind (oder ihre ersten Kinder) ohne Schwierigkeiten großgezogen. Beim letztgeborenen versagte nun aber ihre Erziehungsmethode. Manche Eltern empfanden die Elternrolle als eine Herausforderung und
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