Familienkonferenz in der Praxis
eigenen Persönlichkeit zu bekommen und diesen Teil meiner selbst vielleicht anderen in irgendeiner Weise mitzuteilen. Die Befriedigung dieser Bedürfnisse ist von lebenswichtiger Bedeutung für meine Persönlichkeitsentfaltung. Vielleicht werfen die stärksten sozialen Beziehungen, die ich habe
(meine Familie, die Freunde) etwas Licht auf dieses sehr persönliche »Ich«, aber ich brauche auch Zeit, um jenen Teil meiner selbst zu verwirklichen. Weder mein Mann noch mein Kind können das für mich tun. Meine Beziehung zu ihnen ist immer dann am besten, wenn die Bedürfnisse, für deren Befriedigung ich ganz allein sorgen muss, gestillt worden sind. Ich kann von ihnen nicht verlangen, was nur ich leisten kann. Ich bin am glücklichsten – das heißt, ich akzeptiere mich und andere am ehesten –, wenn ich das Gefühl habe, dass meine Bedürfnisse nach schöpferischem Selbstausdruck befriedigt worden sind.
27. Februar: Ich stelle fest, dass Alice und irgendein anderes Kind in ihrem Streit um ein Spielzeug eher bereit sind, einander zu akzeptieren, wenn sie feststellen, dass ich nicht gewillt bin, ihr Problem für sie zu lösen. Das Problem verliert viel von seiner Dringlichkeit! Alice ist weit eher bereit, das andere Kind mit ihrem Spielzeug spielen zu lassen, wenn sie sieht, dass ich gar nicht daran denke einzugreifen.
28. Februar: Ich stelle mir »negatives« Verhalten immer in den Begriffen von Bedürfniserfüllung oder Wertdifferenzen vor. Nehmen wir zum Beispiel jene Anlässe, da Alice weint, wenn ich sie allein lasse. Wenn sich dieses Weinen, das mir nicht besonders gefällt, in irgendeiner Weise beseitigen lässt (dadurch dass ich das Nicht-Weinen verstärke oder durch ähnliche Maßnahmen), bedeutet das unbedingt, dass sich auch ihr Unglück gelegt hat? Vielleicht ist sie immer noch ganz hübsch »aufgebracht«. Wie sehr möchte ich eigentlich ihr Verhalten manipulieren? Es gefällt mir nicht, dass sie schreit, wenn ich sie verlasse. So empfindet sie nun aber, und ich möchte schon, dass sie es mich wissen lässt. Kann ich ihre Gefühle verändern? Möchte ich das? Kann ich ihr gestatten, »negative« Gefühle neben den »positiven« zu haben (als hätte ich irgendeine Kontrolle darüber!)? Darf ich mir selbst gestatten, ihre »negativen« Gefühle zu akzeptieren? Sind sie wirklich negativ oder erscheinen sie nur im Rahmen meines Wertesystems als solche?
2. März: Noch einiges zum »negativen« Verhalten: In diesen Tagen wird mir klar, dass nicht akzeptables Verhalten in Wirklichkeit ein Ausdruck persönlicher Bedürfnisse ist. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint das betreffende Verhalten gar nicht mehr so nicht akzeptabel – wenn überhaupt noch. Nicht dass ich alles akzeptabel finde, doch wenn ich ein Verhalten unter dem Gesichtspunkt der Bedürfnisse sehe, wird mein Toleranzniveau erheblich höher. Der Kursleiter hat davon gesprochen, doch erst jetzt habe ich es wirklich verinnerlicht.
Ein unmittelbares Ergebnis dieser Erfahrung ist die Tatsache, dass ich nicht mehr solche Angst vor »negativem« Verhalten habe. Weint Alice, wenn ich sie allein lasse, ist mir nicht mehr so unbehaglich und ängstlich zumute. Dies scheint unmittelbar auf sie überzugreifen: Gestern Abend ging ich fort und ließ sie bei ihrem Papa. Sie war nicht allzu glücklich darüber und begann zu weinen: »Mama, nicht Kursus!«
»Du möchtest nicht, dass Mama dich alleine lässt, und das macht dich sehr unglücklich«, sagte ich.
»Ja … (ihre Unterlippe zitterte) … Mama zu Hause!«
»Du möchtest, dass Mama bei dir zu Hause bleibt. Aber ich muss in meinen Kursus gehen.«
Das Beben ihrer Lippen verstärkte sich. Sie sah aus, als hielte sie das Weinen nur mühsam zurück – ich glaube, das habe ich noch niemals zuvor bei ihr gesehen! Ich sagte: »Alice, es ist völlig in Ordnung, dass du darüber unglücklich bist, du kannst weinen, wenn du möchtest.« Eine Minute lang weint sie, dann läuft sie zu Papa, ist sehr aufgeregt und sagt: »Papa! Zug!« (Ich hatte ihr gesagt, dass sie mit einem Zug spielen würden, während ich fort sei.)
4. März: Ich habe ein merkwürdiges Gefühl. Ich fühle mich sehr unsicher, als hätte ich mein Selbstbild verloren. Ich versuche über einige der Werte Klarheit zu gewinnen, an die ich mich bislang gehalten habe. Dabei stelle ich fest, dass ich in vielen Fällen dem Druck gehorchte und die Werte von Personen übernahm, die von irgendeiner Bedeutung für
mich waren. Manche der Werte
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