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Familienkonferenz in der Praxis

Familienkonferenz in der Praxis

Titel: Familienkonferenz in der Praxis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gordon
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ich vom Idealbild eines »angepassten« Kindes übernommen habe? Meist macht es mir große Freude, mit Alice zusammenzusein. Wenn irgendein vernünftiger Grund vorliegt (z. B. ein Termin bei einem Arzt, gesellschaftliche Verpflichtungen) habe ich überhaupt keine Angst, wenn ich sie alleine lasse. In der Regel macht sie dann auch keine Schwierigkeiten – sie akzeptiert, dass Mama für eine Weile fortgeht. Aber ich spüre, dass ich entsetzlich nervös werde, wenn ich sie nur verlasse, um dem Prinzip Genüge zu tun, ohne dass ein eigenes Bedürfnis das Vorgehen legitimiert. Wahrscheinlich erscheint es ihr
nicht gerechtfertigt. Mir eigentlich auch nicht, wenn ich darüber nachdenke. Warum zur Hölle soll ich nicht bei ihr bleiben, wenn sie mich in diesen Situationen braucht? Ich bin, weiß Gott, mehr daran interessiert, ihren Bedürfnissen zu genügen, als im Wohnzimmer oder sonstwo rumzusitzen! Für mich und für sie ist es viel wichtiger, dass ich bei ihr bin. Hui, da habe ich mir was von der Seele geredet! Nicht, dass sie jetzt nicht mehr unglücklich sein wird, wenn ich sie allein lasse. Zumindest aber habe ich über meine Bedürfnisse und Prioritäten Klarheit gewonnen. Das bricht dem Ganzen die Spitze ab. Ich glaube, ich habe einen bestimmten sozialen Druck und theoretische Vorstellungen als meine Bedürfnisse angesehen. Tatsächlich sind meine Bedürfnisse – meine ganz persönlichen Bedürfnisse – weit von dem entfernt, was ich mir da zum Ziel gesetzt habe. Ich kann einen neuen Anfang machen!

    14. Februar: Alice akzeptiert meine Entschuldigungen. Ich fahre aus der Haut, habe ein schlechtes Gewissen deswegen und sage ihr, wie leid es mir tut und unter was für einem Druck ich stehe. Dann kommt sie zu mir, umarmt mich und streichelt mir den Rücken. Ich weiß das wirklich zu schätzen. Sie macht mich glücklich.

    15. Februar: Ich habe ein Problem mit der ›Familienkonferenz‹! Der bewusste Teil meiner selbst übertreibt es wieder! Ständig achte ich auf das, was ich sage, was ich sagen möchte oder nicht sagen möchte, was andere sagen, wie ihnen wohl zumute ist, wie mir zumute ist usw. Manchmal möchte ich aus der Haut fahren. Aber ich tue es nicht. Ich weine.
    Ich habe wirklich eine Last daraus gemacht. Ich fühle mich verantwortlich – und zwar ganz und gar – für jede Beziehung, in der ich stehe. Ein gewisses Verantwortungsbewusstsein ist gesund und angemessen. Aber ich glaube, ich gehe dabei zu weit! Ich fühle mich so einsam. Ich merke sofort, wenn jemand nicht versteht, wie mir zumute ist. Die Techniken bringen es mir zum Bewusstsein. Und ich weiß auch sofort, wann ich verstanden werde und ich andere verstehe. Die positiven Seiten der ›Familienkonferenz‹ sind gleich zu Anfang sichtbar geworden.
Jetzt erst merke ich, aufweiche Probleme ich stoße, wenn ich ihre Methoden verwirkliche. Die Probleme sind immerhin so ernst, dass ich beschlossen habe, mich genau zu fragen, was die ›Familienkonferenz‹ mir bedeutet, was ich von ihr erwarte und was ich von ihr bekommen kann.

    19. Februar: Es ist interessant! Vier Tage nur ist es her, seit ich die letzte Eintragung gemacht habe. Heute denke ich ganz anders über die ›Familienkonferenz‹. Mir ist bewusst geworden, welches Problem ich eigentlich mit ihr habe. Die Last und die Einsamkeit, die Verantwortung und die überdeutliche Bewusstheit erklären sich meiner Meinung nach aus der Tatsache, dass mir wirkliches Interesse – echte Einfühlung – häufig abgegangen ist, wenn ich Gebrauch vom aktiven Zuhören oder der Problemlösung machte. Offensichtlich darf ich die Ursache für eine solche Vielzahl überwältigender Empfindungen nicht nur bei der ›Familienkonferenz‹ und mir suchen. Daran sind eine Menge anderer Faktoren beteiligt. Soweit es aber diese Techniken anbelangt, glaube ich wirklich, dass das Maß meiner Einfühlung, meines Interesses den sprachlichen Techniken nicht entspricht, die ich erworben habe. Das verstehe ich nicht unter ›Familienkonferenz‹. Ich glaube, echtes Interesse ohne irgendwelche Kommunikationstechniken wäre der Entstehung positiver Beziehungen weit dienlicher als die Vollkommenheit in den Methoden.
    In den letzten Tagen habe ich festgestellt, dass ich beim aktiven Zuhören oder Problemlösen weit mehr mit meinen Ideen und Empfindungen beschäftigt war als damit, die Gefühle der anderen Personen wirklich zu verstehen. Soweit es mir bewusst wurde, war ich in der Lage, meine Gefühle eine Zeitlang wirklich

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