Familienkonferenz in der Praxis
war einfach nicht daran gewöhnt, seine Entscheidungen selbst zu treffen. Ich sagte: ›Dir macht Judo keinen Spaß.‹ Er antwortete: ›Ich mag den Trainer nicht. Er schubst uns herum und ist gemein zu uns. Ich weiß nicht, wie ich es ihm sagen soll … Außerdem habe ich Angst, dass Daddy und du böse seid, wenn ich aufhöre.‹ Er wurde sehr ungeduldig mit mir. Er verlangte, ich solle ihm sagen, was er zu tun habe. ›Warum kannst du mir nicht einfach sagen, was ich tun soll? Ich tu es dann …‹ Ich hatte ein wenig das ängstliche Gefühl, ihn im Stich zu lassen, aber ich entschied nicht für ihn. Ich hatte Angst, aber ich weigerte mich, für ihn zu entscheiden … Eine Woche später, als es wieder Zeit zum Judotraining war, entschied er selbst, dass er aufhören wolle. Sobald er bemerkt hatte, dass ich keine versteckte Absicht verfolgte, z. B. gern gesehen hätte, wenn er mit dem Training weitergemacht hätte, hörte er selbst auf. Er traf seine Entscheidung selbst.«
Hier sehen wir, welche Kämpfe Eltern mit sich selbst zu bestehen haben. Es fällt ihnen schwer, ihre Kinder ihr eigenes Leben leben zu lassen, wenn diese fordern, die Eltern sollen sich weiter um sie kümmern. Offensichtlich gibt die ›Familienkonferenz‹ Eltern den Mut und die notwendigen Techniken, um aus dieser »Elternfalle« zu entkommen.
Eltern gewinnen neue Erkenntnisse über sich selbst
Sobald Eltern mit dem aktiven Zuhören beginnen, werden sie häufig mit völlig unerwarteten Gefühlen und Gedanken ihrer Kinder konfrontiert. Sie sehen sich in einem neuen Licht und begreifen, wie sehr ihr Verhalten ihren Kindern geschadet hat.
Im folgenden Beispiel erfährt ein Zahnarzt, wie seine allzu hochgeschraubten Erwartungen dem Selbstgefühl seiner ältesten Tochter geschadet haben:
»Meine Zwölfjährige fühlte sich in der Schule sehr unwohl. Wenn sie nicht in allen Kursen 100prozentig abschnitt, galt es als Misserfolg. Wenn sie nach Hause kam und uns mitteilte, dass sie nur 89 Prozent erreicht hatte, pflegte ich früher zu sagen: ›Das ist zu schlecht. Hoffentlich gibst du dir das nächste Mal ein bisschen mehr Mühe und arbeitest ein bisschen mehr.‹ Vor dem letzten Elternabend war Sally sehr böse, weil sie um zwei Prozentpunkte im Englischen gefallen war … Ich sagte: ›Weißt du, das hört sich an, als seist du ein wenig böse.‹ Sie erwiderte: ›Du wirst sehr enttäuscht sein … Ich habe in diesem Vierteljahr nicht sehr hart gearbeitet. Ich zwang mich zu sagen: ›Das ist sicherlich ziemlich traurig für dich.‹ So ging es beinahe eine halbe Stunde. Sie war in Tränen aufgelöst und erwartete, dass ich böse würde. Ich sagte nur: ›Du brauchst nur das zu tun, was du tun möchtest; ich möchte, dass du zufrieden bist; es spielt keine Rolle, was für Noten du hast. Ich habe dich auch so gem. Sie schluchzte, ich hielt sie, und schließlich sagte sie, dass sie mich auch liebhabe … In der halben Stunde, die wir uns unterhielten, fand ich heraus, dass sie einen bestimmten Lehrer nicht mochte. Ich merkte auch, warum das der Fall war. Ich stellte fest, mit welchen Mädchen sie Streit hatte – ich meine damit, wir sprachen über alles. Es entwickelte sich zu einer richtigen Unterhaltung, in der ich tatsächlich nur wenig rückzumelden brauchte (aktives Zuhören) – nur hin und wieder einmal, um sie wissen zu lassen, dass ich zuhörte. Sie hatte einfach
einen Nachholbedarf, deshalb fing sie an zu weinen. Ich blieb sitzen und hielt sie eine Zeitlang im Arm. Ich sagte ihr, dass ich überhaupt keine großartigen Ergebnisse in der Schule erwarte, weil ich sie eben ganz unabhängig davon gernhabe. Das ist es im Grunde genommen, was mir die ›Familienkonferenz‹ gebracht hat. Denn als Sally mit der Schule anfing, erwarteten wir von ihr übermenschliche Leistungen. Und wenn sie diese Leistungen nicht brachte, gaben wir ihr anscheinend das Gefühl, dass wir sie nicht mochten … Ich war als Vater wohl ein klassischer Fall. Ständig hieß es: ›Das musst du schaffen‹, ›Du darfst keinen Fehler machen‹, ›Ich verlange, dass du immer nur die besten Leistungen nach Hause bringst, etwas anderes kommt nicht infrage.‹ Seither geht es aber wirklich viel besser.«
»Lieber wär ich tot«
Keine der Geschichten, die wir von der Stichprobe unserer Eltern erhalten haben, zeigt deutlicher als der folgende Bericht einer Mutter, welche Wirkungen aktives Zuhören haben kann. Sie erprobte aktives Zuhören das erste Mal an ihrem
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