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Familienkonferenz in der Praxis

Familienkonferenz in der Praxis

Titel: Familienkonferenz in der Praxis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gordon
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nicht‹, genügt ihnen das nicht … Ich habe meine Gründe, wenn ich möchte, dass ein Kind dieses oder jenes nicht tut. Wenn es keinen Grund gäbe, würde ich ihm doch nicht sagen: ›Mach das nicht‹, nicht wahr? Aber stets wollen sie den Grund hören, nicht wahr?«

    Manchmal fühlt sich ein Kind auch verletzt und zurückgewiesen, wenn man ihm keine Gründe nennt. Denn wenn die Eltern ihren Kindern nicht mitteilen, warum sie ihr Verhalten nicht akzeptieren, basteln sich diese die Gründe selbst zurecht. Eine Mutter erinnerte sich an einen solchen Vorfall in der eigenen Familie:

    »Als Joshua einmal aus seinem Bett kletterte, nachdem wir ihn schon zur Ruhe gelegt hatten, sagte ihm Peter, mein Mann: ›Ich möchte dich nicht mehr sehen!‹ Einige Minuten später stieß ich in der dunklen Küche auf Joshua. Er stand weinend neben dem Kühlschrank. Als ich ihn fragte, was er habe, schluchzte er: ›Papa mag mich nicht sehen.‹ … Joshua hatte eine persönliche Ablehnung herausgehört.«

    Eine ganz andere Wirkung hätte man erwarten dürfen, wenn der Vater eine vollständige dreiteilige Ich-Botschaft gesendet hätte – wie zum Beispiel:

    »Joshua, wenn du aus dem Bett kommst, nachdem wir dir Gute Nacht gesagt haben, bekümmert mich das. Ich habe dann nämlich Angst, dass
du mich daran hinderst zu lesen (oder zu arbeiten oder mich mit Mama zu unterhalten oder was auch immer).«

    Die vollständige dreiteilige Ich-Botschaft nennt Kindern also einen bestimmten Grund dafür, dass die Eltern ihr Verhalten nicht akzeptabel finden. Dadurch erhöhen sich die Chancen, dass die Kinder zu einer Verhaltensänderung motiviert werden. Außerdem wirkt sich diese Form der Ich-Botschaften in sehr bedeutsamer Weise auf die Eltern aus. Wir haben festgestellt, dass Eltern bei dem Versuch, den »greifbaren Effekt« der Ich-Botschaft mitzuteilen, häufig feststellen, dass es einen solchen Effekt überhaupt nicht gibt! Eine Mutter erklärte dieses Phänomen wie folgt:

    »Die Ich-Botschaften waren deshalb von großem Wert für mich, weil ich bei ihrer Anwendung feststellte, wie willkürlich ich mich meinen Kindern gegenüber verhalte. Wenn ich versuche, alle drei Teile zu senden, und ich zu jenem Teil komme, der erklärt, welchen Effekt das Verhalten auf mich hat, komme ich zu dem Ergebnis: ›Nun, eigentlich habe ich überhaupt keinen vernünftigen Grund!‹ Wenn ich sage: ›Ich halte es nicht aus, wenn du so viel Lärm in der Nähe des Hauses machst‹, komme ich zum ›Weil‹ und stelle fest, dass es mich eigentlich gar nicht so sehr ärgert. Ich frage mich dann: ›Warum bin ich eigentlich so ärgerlich darüber?‹ Deshalb habe ich jetzt die Gewohnheit angenommen, in dem Falle, wenn ich feststelle, dass das Verhalten eigentlich ohne greifbare Wirkung auf mich ist, dem Kind zu sagen: ›Denk nicht mehr dran, tu so, als hätte ich nichts gesagt.‹ Mein Verhalten kommt mir dann so willkürlich vor … Wissen Sie, ich finde es herrlich. In der Hälfte der Fälle fehlt mir ein rechter Grund.«

    Warum die Mutter das »herrlich« fand, zeigte sich, als sie erklärte:

    »Ich habe die Kinder immer viel zu sehr kontrolliert. Ich dachte, das sei die richtige Weise, um mit einem Haufen Kindern fertigzuwerden. Ich habe alles kontrolliert. Heute kann ich dazu nur noch sagen: ›Wie soll
man das schaffen?‹ Es hat mir mehr Arbeit gemacht, nicht weniger, weil ich mich um alles und jedes, was sie taten, kümmern musste … Heute halte ich mich meistens heraus und sage: ›Na und?‹«

    Dann berichtete sie von einem Vorfall, der als Beispiel für ihre neue Einstellung gelten kann:

    »Caroline spielt häufig mit Wasser im Badezimmer. Ich war im Begriff, ihr eine Ich-Botschaft zu senden, die ihr den Effekt auf mich schildern sollte: Ich mag nicht hinter dir herwischen.‹ Dann dachte ich: Moment mal, warum gehe ich davon aus, dass ich es selbst aufwischen muss? Das ist lächerlich. Stattdessen sagte ich also: ›Wenn du im Badezimmer mit Wasser spielen willst, bist du dann auch bereit, hinterher aufzuwischen?‹ Und sie erwiderte: ›Ja.‹ Und damit hatte es sich – das Kind wischte selbst auf. Das ist ein ganz anderes Vorgehen, eine ganz andere Sache.«

    Vor zehn Jahren hätte ich nie und nimmer geglaubt, dass Eltern, denen man beibringt, eine vollständige dreiteilige Ich-Botschaft zu senden, in vielen Fällen erkennen, dass sie überhaupt keine Ich-Botschaft senden müssen. Als wir den Eltern erklärten, sie sollten ihren Kindern den

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