Familienkonferenz in der Praxis
Maultier außergewöhnlich gut dressiert und gehorsam sei. Einige Wochen später bringt der Freund das Maultier zurück. Er beklagt sich, dass das Tier keinem seiner Befehle gehorche. Daraufhin nimmt der frühere Besitzer einen riesigen Knüppel, versetzt damit dem Maultier einen Hieb auf den Kopf und sagt: »Los geht’s!« Sofort setzt sich das Maultier in Bewegung. »Tut mir leid«, sagt der Mann und gibt den Knüppel seinem Freund, »ich habe vergessen, dir zu sagen, dass du erst seine Aufmerksamkeit gewinnen musst.«
In bestimmten Situationen müssen auch Sie erst die Aufmerksamkeit Ihres Kindes besitzen, bevor Ich-Botschaften Wirkung zeigen können. Natürlich sollen Sie ihm keinen Schlag auf den Kopf geben. Sie müssen aber eine Ich-Botschaft senden, die stark genug ist, um überhaupt Wirkung zeitigen zu können. Einigen Eltern fällt es schwer, ihren Ich-Botschaften die Intensität ihrer Gefühle zu verleihen. Sie »stapeln tief« und senden eine zu schwache Ich-Botschaft. Ergebnis: Das Kind reagiert nicht. Eine Mutter äußert sich dazu:
»Ich hatte deshalb besondere Schwierigkeiten, weil ich in meinen Ich-Botschaften tief stapelte. Mein Kursleiter forderte mich auf, bestimmter zu sein. Damals dachte ich aber, dass ich damit meine Kinder oder meinen Mann verletzen würde. Ich fürchtete, durch ein zu starkes Pochen auf meine Belange ihre Rechte einzuschränken. Die Kursübungen halfen mir dabei, stärkere Ich-Botschaften auszuprobieren. Ich stellte fest, dass meine Angst unbegründet war.«
Eine andere Mutter machte sich Sorgen, ihre Ich-Botschaften könnten ihrem Kind Schuldgefühle einflößen:
»Was ich dort über Ich-Botschaften hörte, ließ mich annehmen, sie könnten möglicherweise eine Vielfalt von Schuldgefühlen im Kind erzeugen. Ich meinte, Ich-Botschaften könnten leicht zu Allmachtsvorstellungen
führen und dem anderen das Gefühl geben, er sei schuldig oder unglücklich.«
Ist die Furcht dieser Eltern gerechtfertigt? Ich denke nicht, wenn sie nicht ins andere Extrem verfallen und »hochstapeln« – das heißt Ich-Botschaften senden, die so mit Ärger beladen sind, dass sie das Kind völlig erdrücken. (Erinnern wir uns an das, was zum Ärger als strafender Ich-Botschaft gesagt wurde.)
Die effektivsten Ich-Botschaften sind offensichtlich diejenigen, die den Gefühlen der Eltern genau entsprechen. Sie stapeln weder tief noch hoch. Wenn Ihr Kind seine Sachen draußen lässt und Sie darüber nur Gereiztheit empfinden, sagen Sie: »Ich bin gereizt« statt »Das macht mich rasend«. Wenn aber Ihr Sechsjähriger ein scharfes Messer auf dem Fußboden in der Nähe des Säuglings liegen lässt und Sie bei seinem Anblick zu Tode erschrocken sind, dann sagen Sie nicht: »Ich bin ein bisschen bekümmert …« Senden Sie stattdessen eine Botschaft, die Ihrem Schock eher entspricht, zum Beispiel: »Als ich das Messer sah, war ich zu Tode erschrocken, weil sich das Baby damit gefährlich hätte verletzen können und ich darüber sehr traurig gewesen wäre.«
Häufig fragen Eltern: »Entwickelt denn ein Kind nicht im Gefolge solcher Botschaften Schuldgefühle?« Eine berechtigte Frage. Doch ich habe festgestellt, dass es zwei verschiedene Arten von Schuldgefühlen gibt. Eine besagt: »Mir tut leid, was ich getan habe, weil es jemand anders verletzt hat (oder hätte verletzen können).« Dieser Typus des Schuldgefühls scheint eine natürliche Folge bestimmter Verhaltensweisen zu sein. Es gibt Verhaltensweisen, die in gewisser Hinsicht zu Schuldgefühlen führen müssen. In diesen Fällen ist es eine logische Konsequenz, dass dem Kind sein Verhalten leidtut. Nehmen wir an, ich verletze jemanden, weil ich mich in betrunkenem Zustand ans Steuer setze. Ich hoffe doch sehr, dass mir das dann leidtäte – und dass ich auch Schuldgefühle empfände.
In der Regel erzeugen aber die Botschaften von Eltern einen zweiten
Typus des Schuldgefühls in einem Kind. Er lässt sich besser als »Ich bin schlecht, böse und sündhaft« umschreiben. Es gibt Du-Botschaften, die schwer wiegende Urteile und schlimme Herabsetzungen übermitteln wie zum Beispiel: »Du bist ein sehr schlechter Junge«, »Du bringst mich noch ins Grab«, »Das hättest du besser wissen sollen«, »Ich hoffe, dass dir deine eigenen Kinder einmal so zu schaffen machen wie du mir«, »Ich hoffe, Gott wird dich für das strafen, was du getan hast« und hunderte ähnlicher Art. Die Wirkung solcher Schuld erzeugenden Botschaften kann sich noch
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