Familienkonferenz in der Praxis
Verhalten macht mich unglücklich.
Was fehlt in dieser Botschaft? Abgesehen davon, dass die Mutter ihre Gefühle zu ungenau beschreibt (»ärgerlich« und »unglücklich«), enthält ihre Ich-Botschaft einen sehr viel ernsteren Mangel. Sie hat Sue nicht genau mitgeteilt, welchen greifbaren Effekt dieses Verhalten auf sie, die Mutter, hatte. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird Sue sich angesichts dieser Botschaft fragen, warum die Mutter ärgerlich und unglücklich ist. In welcher greifbaren Weise beeinträchtigt ihr Verhalten die Belange der Mutter? Wir haben gehört, dass eine effektive Ich-Botschaft drei Elemente enthalten muss. In der Ich-Botschaft der Mutter befanden sich nur zwei:
Nicht akzeptables Verhalten
Gefühl
Wenn du Frank anstarrst,
werde ich ärgerlich und unglücklich.
Eine vollständige Ich-Botschaft enthält: (1) eine Beschreibung des nicht akzeptablen Verhaltens, (2) das Gefühl, das der Elternteil empfindet, und (3) den greifbaren, konkreten Effekt (oder die Folge), unter dem der Elternteil leidet. Die Ich-Botschaft der Mutter hätte etwa so lauten müssen:
Nicht akzeptables Verhalten
Gefühl
greifbarer Effekt
Wenn du Frank anstarrst,
werde ich ärgerlich und unglücklich,
weil sein Weinen und Schreien mich bei meiner Tätigkeit stört.
Wir können natürlich nur vermuten, welchen greifbaren Effekt dieses Verhalten tatsächlich auf die Mutter gehabt hätte. Möglicherweise nahm sie Anstoß an der Tatsache, dass Sues Verhalten völlig grundlos war, oder sie hatte keine Zeit, sich mit Frank zu beschäftigen, wenn er mit einem Problem zu ihr kam.
Betrachten wir das folgende Beispiel einer Mutter, die ihrem vierjährigen Sohn Bill ein neues Kleidungsstück anprobieren möchte:
M : Bill, wir müssen dies anprobieren, um zu wissen, ob es passt.
B : Nein, ich will nicht!
M : Bill, ich kann dir dieses Kleidungsstück nicht kaufen, wenn du es nicht anprobierst und wir sehen, ob es passt.
B : Nein, ich will es nicht anprobieren.
M : Gehen wir doch in die Umkleidekabine und probieren es ganz schnell an. (Die Mutter nimmt Bill auf den Arm und trägt ihn zur Umkleidekabine.) Probierst du es nun an, Bill?
B : Nein.
M : Lässt du es dir dann wenigstens anhalten, damit ich sehen kann, ob es auch wirklich passt?
B : Nein, ich will nicht.
M : Bill, ich bin wirklich ärgerlich! Ich muss dir das anprobieren, um zu wissen, ob es passt. Die Dame draußen wird schon ungeduldig.
Das Ergebnis schließlich: Die Mutter gab auf und kaufte die nächste Größe in der Hoffnung, sie würde passen. Wir wollen nun eine hypothetische dreiteilige Ich-Botschaft zusammenstellen, die vielleicht eine bessere Chance geboten hätte, Bills Verhalten zu modifizieren:
Nicht akzeptables Verhalten
Gefühl
greifbarer Effekt
Wenn du das Kleidungsstück nicht anprobierst,
habe ich Angst, es zu kaufen,
weil ich in dem Fall, dass es nicht passt, wieder in die Stadt fahren muss, um es umzutauschen.
Diese vollständige Ich-Botschaft gibt Bill erschöpfende Auskunft. Er erfährt nicht nur, welche seiner Handlungen die Mutter vor ein Problem stellen, sondern auch, was sie angesichts dieser Handlung empfindet und – was genauso wichtig ist – warum das Verhalten sie vor ein Problem stellt.
Erinnern wir uns daran, dass das eigentliche Ziel von Ich-Botschaften darin liegt, Kinder dazu zu bringen, jenes Verhalten zu verändern, das sie gerade zeigen.
In der Regel reicht es nicht aus, die Verhaltensweisen zu beschreiben, die man nicht akzeptabel findet, und den Kindern mitzuteilen, dass man über sie ärgerlich ist oder böse oder frustriert. Die Kinder müssen wissen, warum.
Versetzen Sie sich in die Lage Ihres Kindes. Sie sind mit einer Handlung beschäftigt, die irgendeines Ihrer Bedürfnisse befriedigen soll (oder mit dem Sie etwas vermeiden möchten, das Ihnen unangenehm ist). Nur weil die Mutter sagte: »Ich bin ärgerlich über das, was du tust«, sind Sie sicher nicht sehr motiviert, Ihr Verhalten zu verändern.
Sie möchten einen guten Grund hören, bevor Sie sich anders verhalten. Deshalb sollten Eltern ausführlich auf den »greifbaren und konkreten Effekt« eingehen, den das Verhalten eines Kindes auf sie hat. Versäumen sie es, dies dem Kind mitzuteilen, fehlt ihm jeder Grund, sein Verhalten zu verändern. Im folgenden Beispiel beginnt eine Mutter diesen Sachverhalt zu begreifen:
»Das regt mich an Kindern am meisten auf. Immer muss man ihnen erklären, warum, warum, warum. Wenn man ihnen sagt: ›Bitte mach das
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