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Familienkonferenz in der Praxis

Familienkonferenz in der Praxis

Titel: Familienkonferenz in der Praxis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gordon
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Grundgefühle: Wenn die Handlungsweise eines Kindes Ihnen körperlichen Schmerz zufügt, wird »Das tut mir weh« völlig ausreichen. Wenn sein Verhalten Sie beunruhigt, genügt ein »Ich habe Angst …«. Wenn es Sie mit dem Wunsch plagt, etwas zu tun, wozu Sie keine Lust haben, wird »Ich bin zu müde (oder zu beschäftigt)« Ihre Botschaft deutlich genug übermitteln.
    Besondere Probleme haben Eltern mit dem Ärger. In unseren Interviews hörten wir Äußerungen wie die folgenden:

    »Ich muss mir abgewöhnen, Ärger bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit auszudrücken. Stets hieß es ›Ich bin ärgerlich‹ oder ›Ich bin böse‹. Anfangs benutzte ich das viel zu häufig. Wie oft ist man wirklich ärgerlich? Wirklichen Ärger empfindet man nur in zwei Prozent der Fälle.« »Ich-Botschaften fallen mir sehr schwer. Ich gebe gern Ich-Botschaften, die eigentlich Du-Botschaften sind – wie zum Beispiel: ›Ich bin wirklich böse, und du solltest das und das nicht tun.‹ In Wirklichkeit heißt das: ›Du hast das und das getan, deshalb bin ich böse.‹ Häufig sage ich ›böse‹, statt mich zu bemühen, das tiefer liegende Gefühl zu ermitteln.«

    Beide Eltern waren sich darüber klar, dass ihre Ich-Botschaften weit häufiger Ärger zum Ausdruck brachten, als gerechtfertigt schien. Sie erklärten das damit, dass sie dem »tiefer liegenden Gefühl« nicht auf die
Spur kamen. Dies nannte ich oben »Grundgefühl«. Aus den Erfahrungen der Eltern haben wir Wichtiges über den Ärger gelernt: Wenn Eltern einem Kind gegenüber Ärger äußern, teilen sie häufig ihr Grundgefühl nicht mit. Unter dem Ärger verbirgt sich meist ein anderes Gefühl.
    Nehmen wir als Beispiel den zehnjährigen Tim. Er fährt mit dem Kinderwagen seiner kleinen Schwester in gefährlichem Tempo durch die Gegend. Die Mutter hält Tim vor: »Ich bin sehr ärgerlich, dass du so schnell mit ihr läufst, weil sie sich dabei sehr verletzen kann.« Tatsächlich war das eigentliche Gefühl der Mutter »Angst«. Die präzise Ich-Botschaft hätte in etwa lauten müssen: »Ich habe Angst, wenn ich sehe, wie schnell du mit dem Kinderwagen läufst, weil er umfallen und deine Schwester verletzt werden kann.«
    Ärger stellt sich bei den Eltern im Anschluss an ein anderes Gefühl ein. Ich bin heute davon überzeugt, dass eine ärgerliche Ich-Botschaft auf das Kind wie eine vorwurfsvolle Du-Botschaft wirkt. So fühlt es sich wie bei anderen Du-Botschaften herabgesetzt und schuldig.
    Warum senden Eltern ärgerliche Ich-Botschaften? Ich glaube, sie verfolgen damit ganz bewusst das Ziel, ihre Kinder zu bestrafen oder ihnen eine Lehre zu erteilen. Dabei hoffen sie, die Kinder werden in Zukunft jene Handlungsweise unterlassen, die in ihnen, den Eltern, das Grundgefühl (oder primäre Gefühl) hervorrief – wie zum Beispiel Furcht, Verlegenheit, Schmerz, Enttäuschung. Wenn das richtig ist, erzeugen die Eltern ihren Ärger selbst – sie nehmen eine ärgerliche Haltung ein, sie spielen Ärger, sie machen sich die Rolle der Ärgerlichen zu eigen, sie schüren ihren Ärger. Damit soll nicht gesagt sein, dass ihr Ärger nicht real sei. Natürlich weiß jeder, wann er ärgerlich ist – man zittert, man kocht, die Stimme schlägt über. Doch diese physiologischen Begleiterscheinungen stellen sich erst ein, wenn man sich zum Ärger entschlossen hat.
    Wie können Eltern aufhören, ärgerlich zu werden? Ich glaube, das ist relativ leicht zu vermeiden. Halten Sie sich selbst den Spiegel vor und fragen Sie sich: »Was empfinde ich wirklich? Welches ist mein primäres Gefühl? Welche Gefühle löst das Verhalten meines Kindes in
mir aus? Ist es Furcht, Schmerz, Verlegenheit, Enttäuschung?« Wenn sie Ihrem eigentlichen Gefühl auf die Spur kommen und es mitteilen, werden Sie in den meisten Fällen Ihr Ziel erreichen und das Kind dazu veranlassen, sein Verhalten zu ändern. Es wird nicht notwendig sein, dass Sie Ärger »spielen«.
    Es ist wichtig, vollständige Ich-Botschaften zu senden
    Wenn Ich-Botschaften ein Kind nicht veranlassen können, das Verhalten, das den Elternteil vor ein Problem stellt, zu verändern, liegt es häufig daran, dass der Elternteil eine oder mehrere unvollständige Ich-Botschaften gesendet hat. Eine Mutter berichtet, dass die viereinhalbjährige Sue ihren sechseinhalbjährigen Bruder Frank dadurch zum Weinen und Schreien brachte, dass sie ihn anstarrte:
    M: Ich bin sehr ärgerlich darüber, dass du Frank ständig anstarrst. Dein

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