Familienpakt: Kriminalroman (German Edition)
Ärzten, die die Operation an der Tochter unseres Amokläufers Wollschläger verpfuscht haben.« Er sah Keller und Jasmin um Lob heischend an.
Doch die beiden guckten nur fragend und ratlos. Schließlich rang sich der reichlich perplexe Keller die Frage ab: »Das heißt?«
»Das heißt, dass …« Schnelleisen unterbrach sich selbst, als er sich vergegenwärtigte, dass der einzige Mensch mit nachweisbarem Mordmotiv bereits im Gefängnis saß. »Das heißt …«, wiederholte er mit hängenden Schultern.
»… dass wir ein größeres Problem haben«, vollendete Keller den Satz. »Verdammt, wie kann das möglich sein? Zufall? Nie im Leben!«
9
Das Büro von Konrad Keller, gelegen im zweiten Stock des Präsidiums in Richtung Mostgasse und zur marod nostalgischen Fassade des Szenegasthauses ›Bäckerhof‹, verfügte über die übliche Möblierung eines Büroraums im öffentlichen Dienst. Selbstredend moderner als das triste, mit sprödem 60er-Jahre-Charme eingerichtete Arbeitszimmer von TV-Kommissar Derrick, bis heute Kellers Lieblingsserie, aber eben doch nur zweckmäßig und ohne jede persönliche Note; außer einem gerahmten Foto seiner Familie, das vor etwa fünf Jahren während eines sommerlichen Ausflugs in die Fränkische Schweiz entstanden war. Keller würde also nicht viel auszuräumen, abzuhängen und einzusammeln haben, wenn er seinen Arbeitsplatz in wenigen Tagen für immer verlassen würde. Gleichwohl verband ihn sehr viel mit den vier Wänden, die ihn nun schon seit so vielen Jahren umgeben und die für ihn stets eine Art Zuflucht vor den Unbilden des rauen Leben seiner beruflichen Wirklichkeit geboten hatten. Ein seltener Anflug von Sentimentalität erreichte ihn, doch er verscheuchte ihn sogleich wieder.
Jasmin Stahl trug knackig enge Jeans und einen legeren, grauen Pulli mit V-Ausschnitt. Figürlich entsprach sie in etwa seiner Tochter Sophie, dachte sich Keller, nur dass die Kommissarin noch sportlicher war, Sophie dafür eine größere Oberweite hatte. Soviel er wusste, war Kollegin Stahl ungebunden, von gelegentlichen Kurzbeziehungen abgesehen; sie hatte ihr Herz an einen ihm unbekannten Fotografen verloren, der jedoch bereits vergeben war – gerüchteweise an niemand anderes als Staatsanwältin Blohm, was Kollegin Stahl wohl besonders wurmte. Mit ihren 28 Jahren sollte sie sich allmählich umorientieren und nicht einem hoffnungslosen Fall nachhängen, überlegte er, hütete sich aber davor, diesen Tipp auszusprechen. Denn auch wenn ihn Jasmin ab und zu an seine Tochter erinnerte – sie war es nicht.
Stattdessen fragte er: »Wie läuft’s?«
»Schleppend.« Die Kommissarin seufzte: »Weil unüberschaubar viele Menschen Zugang zu den medizinischen Geräten hatten und sie vor Fingerabdrücken nur so wimmeln, stocken unsere Ermittlungen. Wir haben Haustechniker, Reinigungskräfte, Pfleger und natürlich das medizinische Personal befragt – Fehlanzeige.«
»Das hört sich nicht besonders vielversprechend an. Gibt es irgendeine andere Spur, die es wert ist, dass wir ihr folgen?«
Jasmin Stahl stieß einen weiteren tiefen Seufzer aus. »Keine direkte Spur, nur eine Mutmaßung.«
»Schießen Sie los!«
Die Kommissarin zog die Schultern an und wirkte alles in allem recht verkrampft, als sie ihre Theorie darlegte: »Mich hat dieser Zusammenhang mit der Operation an Hartmut Wollschlägers Tochter nicht losgelassen. Daher habe ich mir noch einmal die Akte unseres Amokläufers vorgenommen. Und was soll ich sagen – der Mann ist gelernter Elektriker, verfügt also über die notwendigen Kenntnisse, um eine solche Manipulation an dem Narkoseapparat vorgenommen zu haben.«
»Was?« Keller schob seinen Schreibtischstuhl zurück und stand auf. »Aber das ergibt doch keinen Sinn! Wollschläger sitzt in Untersuchungshaft. Dort saß er auch schon, als Dr. Beierlein den tödlichen Stromschlag bekam.«
»Das ist korrekt«, sagte Jasmin Stahl sehr zurückhaltend. »Deswegen habe ich diesen Gedanken auch gleich wieder verworfen. – Aber bei näherer Betrachtung …«
Keller spitzte die Lippen und stieß einen leisen Pfiff aus, als ihm bewusst wurde, worauf die junge Kollegin anspielte. »Sie denken um die Ecke, ja? Eine geradlinige Lösung käme in Zusammenhang mit Wollschläger nicht in Frage, also folgen Sie dem Täter auf seinen verschlungenen Pfaden.«
»Nun, ausreichend Zeit zur Vorbereitung einer solchen Tat hatte er ja gehabt. Später dann kam es nur noch auf das richtige Timing an.«
Keller
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