Familienpakt: Kriminalroman (German Edition)
alt, verheiratet, zwei Kinder, keine Vorstrafen. Jasmin Stahl war bereits vor Ort, als Keller das Südklinikum erreichte.
»Wo ist die Leiche?«, fragte er, als er einen Operationssaal betrat, in dem die Spurensicherung untrügliche Zeichen ihrer Anwesenheit in Form von Puderspuren zur Markierung von Fingerabdrücken und nummerierten schwarzen Tafeln zur Kennzeichnung von Spuren hinterlassen hatte.
»Bereits abtransportiert«, antwortete die junge Kommissarin kleinlaut. »Ich konnte nichts mehr machen. Es war alles veranlasst, bevor ich mich in die Sache reingehängt habe.«
»So?« Keller fuhr sich mit der flachen Hand über seine Glatze. »Da kann man wohl nichts machen.« Sein Blick fiel auf einen rollbaren Geräteträger von der Größe einer Kommode, den die Spurensicherer mit einer besonders großen Portion ihres schwarz schimmernden Zauberstaubs bedacht hatten. Offensichtlich handelte es sich um diejenige Apparatur, die den tödlichen Stromschlag verursacht hatte. Er deutete auf das Gerät und wollte wissen: »Ist das der Übeltäter?«
Die Kommissarin zog sich ein Paar durchsichtiger Latexhandschuhe über und öffnete die Rückseite des Geräts. »Sie wissen ja, ich bin von Haus aus Ingenieurin. Es ist keine Kunst zu erkennen, dass an diesem Narkoseapparat manipuliert worden ist.«
Keller kam näher, warf einen Blick auf das Gewirr von Kabeln und vergewisserte sich: »Sie meinen, jemand hat Hand angelegt?«
»Eindeutig«, gab sich Jasmin Stahl selbstsicher. »Ich habe die Kriminaltechnik angefordert. Die Jungs sollen auch mal ein Auge darauf werfen, aber ich bin überzeugt davon, dass sie dieselben Schlüsse ziehen werden.«
Keller ließ das soeben Gehörte auf sich wirken, während er sich in einer langsamen Drehung um die eigene Achse in dem hellen, sterilen Raum umsah. Was er empfand, war ein Gefühl der Leere, denn die keimfreie Atmosphäre des Raums wirkte sich unmittelbar auf sein Wahrnehmungsempfinden aus. Während die meisten Tatorte, die er in den vielen Jahren seiner Tätigkeit aufgesucht hatte, eine Vielzahl von Hinweisen und Verdachtsmomenten aufboten, blieb dieser Raum erschreckend aussageschwach, ja, geradezu abweisend.
Um seinem Gehirn ein Mehr an Informationen zu verschaffen und den kriminalistischen Denkprozess anzustoßen, wollte er seine Kollegin um weitere Informationen oder Mutmaßungen bitten, doch dieses Vorhaben wurde jäh durchkreuzt durch das lautstarke und von zwei bulligen Zivilpolizisten flankierte Auftreten des Kripochefs in spe: Winfried Schnelleisen.
»Sie hier?«, fuhr der hochgewachsene Hauptkommissar ihn an.
»Sie hier?«, äffte Keller ihn nach.
Schnelleisen stemmte seine geballten Fäuste in seine Hüften. »Laut Dienstplan müssten Sie zu Hause bei Ihrer Frau sein.«
Keller kopierte die Geste seines Nachfolgers und stellte klar: »Der Dienstplan hat – soviel ich weiß – keinerlei bindende Wirkung über meine Anwesenheitspflicht in meinem Zuhause. Außerdem, werter Kollege, bin noch immer ich der Leiter des K11.«
»Ja«, räumte Schnelleisen zerknirscht ein. »Noch genau neun Tage.«
»Wollen Sie mir nicht auch noch die Stunden und Minuten vorrechnen?«, reizte Keller ihn.
Schnelleisen war so schlau, nicht darauf einzugehen. Stattdessen zügelte er seine Aggressivität und erkundigte sich nach dem Stand der Dinge. Jasmin Stahl übernahm es, ihn über die aktuelle Entwicklung aufzuklären und abermals ihren Verdacht zu äußern, dass das Narkosegerät sabotiert worden sei. Schnelleisen hörte sich ihren kurz und präzise vorgebrachten Vortrag an, tat so, als würde er schwerwiegende Gedanken wälzen, indem er theatralisch die Stirn in Falten warf. Dann aber fand er allzu schnell zu seinem eigentlichen Wesen zurück und verkündete hochtrabend: »Ich bin längst einen Schritt weiter. Ich habe mich über diesen Dr. Beierlein schlaugemacht.« Er grinste überheblich und entblößte damit zwei Reihen gelblicher, schiefer Zähne. »Was glaubt ihr, wen Beierlein unter dem Messer hatte?«
»Niemanden.« Diese Spitze konnte sich Keller nicht verkneifen. Denn obwohl ihn brennend interessierte, was der Kollege herausgefunden hatte, musste er ihn auf den Boden zurückholen. »Narkoseärzte müssen darauf achten, dass ihre Patienten einen stabilen Herzschlag haben und nicht vergessen zu atmen. Aber ein Skalpell rühren sie gemeinhin nicht an.«
Schnelleisens Blick verfinsterte sich. »Das habe ich ja nicht wörtlich gemeint. Fest steht: Beierlein gehörte zu den
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