Familienpakt: Kriminalroman (German Edition)
gewünschte Wirkung erzielte.«
»Mmmh«, gab Keller von sich. »Das werde ich klären lassen.« Während er das sagte, machten sich seine Gedanken selbstständig und loteten die Möglichkeit aus, ob Wollschlägers Durchtriebenheit soweit reichte, eine Herzschwäche ins Kalkül zu ziehen und in seinen Racheplan zu integrieren. Das würde nicht nur eine besondere Kaltblütigkeit und Präzision bei der Ausführung der Tat bedeuten, sondern auch ein vorheriges, ausführliches Ausspähen der Zielperson und ihrer Schwächen. Traute er seinem farblosen und introvertierten Untersuchungshäftling die dafür notwendige kriminelle Energie zu? Nein!
»Was machst du denn da?«, rüffelte ihn Doris, als er in Gedanken versunken eine bereits mit Butter beschmierte Scheibe Brot zurück in den Brotkorb legte.
»Was auf den Teller kommt, wird auch gegessen!«, belehrten ihn Kati und Nati im Gleichklang und griffen Opas Vorlage auf, indem sie ihre eigenen Brotscheiben kurzerhand in Diskusscheiben umwandelten, die sie mehr oder weniger zielsicher in Richtung des Korbes schmissen.
»Schluss damit!«, bestimmte Inge, ihre Mutter, und warf ihrem Schwiegervater anstelle der Töchter einen tadelnden Blick zu.
»Entschuldigt bitte«, sagte Keller und schob seinen Stuhl zurück. »Ich muss kurz telefonieren.«
»Aber doch nicht mitten beim Essen!«, beschwerte sich Doris, doch ihre Augen ließen erkennen, dass ihr Protest nur der Form halber erhoben wurde. Sie sah es ihrem Mann nach, dass ihn der Beruf heute nicht losließ.
»Beim Essen steht man nicht auf!«, riefen die Zwillinge, doch selbst das änderte nichts an der Tatsache, dass Konrad Keller keine Ruhe finden würde, bevor er nicht telefoniert hatte.
Er benutzte den Apparat im Schlafzimmer, das gleichzeitig als notdürftiges Arbeitszimmer diente, mit einem schlanken Schreibtisch und leistungsschwachem Computer sowie einem Drucker, dem seit Jahr und Tag eine neue Tintenkartusche fehlte. Er wählte die Nummer des K11 und war erleichtert, Jasmin Stahls Stimme zu hören:
»Gut, dass ich Sie noch erwische«, meldete er sich.
»Ich war gerade im Begriff zu gehen.«
»Fitnessstudio oder Volleyball?«, erkundigte sich Keller pro forma, denn er wusste ja selbst am besten, dass er die Abendpläne seiner Mitarbeiterin in wenigen Sekunden durchkreuzen würde.
»Öh, weder noch. Kino.«
»Tut mir leid, Kollegin. Wir müssen noch einmal ausrücken.«
»Was gibt es denn?«, fragte die Kommissarin und konnte ihren Widerwillen kaum aus ihrer Stimmlage verdrängen.
Keller erklärte ihr, dass er so schnell wie möglich mehr über Wollschlägers mutmaßlichen Racheplan und seine Vorbereitungen dafür in Erfahrung bringen müsste. »Weil wir von ihm selbst nichts herausbekommen werden, da sein Anwalt auf ihm hockt wie eine fette Glucke, müssen wir uns vorerst damit begnügen, uns in seiner Wohnung umzusehen.«
»Das haben bereits die Kollegen erledigt. Sie kennen das Ergebnis«, rief ihm Jasmin Stahl in Erinnerung.
»Das ist mir egal. Ich will mit eigenen Augen sehen, in welchem Umfeld Wollschläger lebte. Ich muss ein Gefühl dafür entwickeln, wie er dachte und handelte. Wir müssen alles noch einmal durchsuchen und auf den Kopf stellen.«
Die Kommissarin stieß ein deutlich vernehmbares Stöhnen aus, bevor sie sagte: »In Ordnung. Soll ich Sie in der Martin-Richter-Straße auflesen?«
»Das wäre nett. Ich warte vor der Tiefgarageneinfahrt. Aber kommen Sie bitte schnell. Ich möchte mir bei der Lausekälte nicht die Füße abfrieren.«
11
Die Wohnung der Wollschlägers befand sich im vierten Stock eines liebevoll gepflegten Siedlerhaus in der Gartenstadt. Eine angenehme Wohngegend, wie Keller meinte, vor allem wegen ihrer zahlreichen grünen Oasen. Doris und er hatten über einen langen Zeitraum hinweg selbst nach einem geeigneten Objekt in diesem Stadtteil gesucht, aber nichts Passendes gefunden. Außerdem störte sie der Autolärm, der bei ungünstigen Wetterlagen von der nahen Südwesttangente herüberschallte.
Keller entfernte das Polizeisiegel und trat gemeinsam mit Jasmin Stahl ein. Wollschlägers Haus entsprach der äußeren Fassade. Die Räume waren mit Parkettboden ausgelegt, die Decken hoch und weiß gekalkt. Die Einrichtung war stilvoll und schlicht. Alles wirkte akkurat und aufgeräumt. Am augenfälligsten empfand Keller die vielen Bilder, in Holzrahmen oder einfach nur hinter Glas, die nahezu jede Wand der geräumigen Wohnung bedeckten. Sie zeigten allesamt das
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