Familienpakt: Kriminalroman (German Edition)
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»An dem Laptop hat sich jemand zu schaffen gemacht«, sagte einer der weißgewandeten Kollegen. »Die Festplatte ist komplett leer, alle Dateien und Backups sind gelöscht worden.«
»Hier unten wurden ebenfalls Fotos entfernt«, sagte eine Kollegin, die auf dem Boden kauerte und die Wand knapp oberhalb des Sockels untersuchte. »Mehrere Bilder, wahrscheinlich eine komplette Reihe inklusive Namensschild.«
Keller fand den Weg in dem labyrinthischen Gebäudekomplex ohne Mühen. Sein Orientierungssinn half ihm dabei ebenso wie sein gutes Gedächtnis, was Örtlichkeiten anbelangte.
Noch bevor er den Trakt der Chirurgie erreichte, erspähte er Dr. Bartels in einer Teeküche, die rechts des Gangs lag. Durch eine wandhohe, mit Fensterbildern verzierte Scheibe sah er den Arzt im fröhlichen Plausch mit zwei Krankenschwestern. Bartels stand locker neben einer Sitzecke, einen Fuß auf ein Sitzpolster gesetzt, den Ellenbogen auf dem Knie, das Kinn auf der rechten Handfläche ruhend. Die andere Hand steckte leger in der Hosentasche. Glänzend sah er aus, dachte Keller. Die Verkörperung des stets gebräunten, gut situierten Mediziners, der sich mit Tennis fit hielt und mit dem Porsche zur Arbeit brauste.
Er klopfte an die Scheibe.
Bartels sah zu ihm auf, hob verwundert die Brauen, überspielte seine Überraschung jedoch schnell mit einem gewinnenden Lächeln. »Na, so was«, empfing er den Ex-Kommissar. »Ich dachte, die Ermittlungen sind eingestellt. Sie haben Ihren Mörder doch längst.«
Keller nickte den beiden neugierig herüberschauenden Schwestern zu. »Entschuldigen Sie bitte, meine Damen. Ich muss Ihnen den Doktor für einige Minuten entführen.« An Bartels gewandt, sagte er leise: »Der Fall ist an sich gelöst, da haben Sie recht. Aber es haben sich im Nachhinein einige Aspekte ergeben, zu denen ich gern Ihre Meinung als Insider hören würde.« Keller vermied es zu erwähnen, dass er selbst keinerlei Legitimation mehr für derartige Nachforschungen besaß.
»So?«, fragte Bartels und wirkte abermals überrascht. Mit einem schnellen Blick auf die unverwandt auf sie starrenden Krankenschwestern schlug er vor: »Was halten Sie von einem Spaziergang an der frischen Luft? Wir haben eine Hochterrasse, die im Sommer regelmäßig wegen Überfüllung geschlossen werden müsste, im Winter aber kaum frequentiert wird. Dort können wir uns ungestört unterhalten.«
»Warum nicht«, stimmte Keller zu. »Ich werde Sie nicht lange aufhalten.«
Jasmin Stahl klebte förmlich an der Kollegin, die die fehlende Bilderreihe angezeigt hatte, und forderte genauere Informationen: »Wie viele Fotos wurden entfernt? Ist das Namensschild wirklich auch verschwunden? Sind Sie sicher, dass alle Bilder dieser Reihe fehlen?«
Etwas genervt antwortete die Befragte: »Ich weiß es nicht, ja, ja.«
»Hä?«, gab Jasmin Stahl ebenfalls genervt von sich.
»Die Antworten auf Ihre Fragen: Wie viele Fotos entfernt wurden, weiß ich nicht. Ob das Namensschild verschwunden ist, ja. Ob wirklich alle Bilder weg sind, noch mal ja. Die Fotos, die hier einmal hingen, haben einen feinen, mit bloßem Auge kaum erkennbaren Rand hinterlassen. Ebenfalls das Kärtchen mit dem Namen des Abgebildeten.«
»Was kann das bedeuten?«, fragte Schnelleisen mit raumfüllender Stimme. Er sprach besonders laut, um seine Führungsrolle zu untermauern.
Die Beamtin am Boden zuckte die Schultern. »Ich kann nur sagen, was ich sehe. Die Beurteilung davon überlasse ich Ihnen.«
»Wie? Mir?« Schnelleisen wirkte für den Moment hoffnungslos überfordert, redete aber gegen seine offensichtliche Hilflosigkeit an: »Frau Stahl, klemmen Sie sich ans Telefon und kriegen Sie raus, ob es im Klinikum jemanden gibt, der noch wichtiger ist als der Ärztliche Direktor. Denn das ist unser Mann!«
Die Kommissarin sah ihren Vorgesetzten mit großen Augen an. Was, dachte sie, ging in dessen Kopf vor? Hatte er denn überhaupt keine Ahnung von seinem Job? Wie, zum Teufel, konnte es ihm gelingen, so hoch aufzusteigen?
Keller hatte sich bislang nicht besonders viele Gedanken darüber gemacht, was Steffen Bartels für ein Mensch war. Er wirkte verlässlich, entschieden und mit einem gesunden Durchsetzungsvermögen ausgestattet. Aber sonst? Durfte Keller dem Arzt wirklich trauen? Zumindest so sehr trauen, dass er ihn mit einem schwerwiegenden Verdacht gegen dessen disziplinarischen Vorgesetzten konfrontieren und illoyale Auskünfte von ihm verlangen konnte?
Auf dem Weg
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