Familienpakt: Kriminalroman (German Edition)
nächsten Augenblick allein. Mit einer inzwischen in der Innentasche seine Skijacke gefundenen Ersatzbrille auf der Nase betrachtete er die Fotos und wunderte sich, wie viele Männer unterschiedlichsten Alters dem Pärchen auf dem Leim gegangen waren.
Während er die meisten Bilder nur flüchtig ansah und sich sogleich der nächsten Reihe zuwandte, kam er bei einem der abgelichteten Herren ins Stocken. Er sah noch einmal genauer hin, begann mit den Bildern in seinem Kopf zu vergleichen, stellte abermals eine frappante Ähnlichkeit fest. Letzte Gewissheit gab ihm das sorgsam platzierte Schildchen mit dem unabgekürzten Namen.
Keller setzte sich über seine eigenen Maßregeln hinweg und nahm eines der Fotos von der Wand. Er konnte seinen Blick nicht von der Aufnahme in seiner Hand lösen. Denn er kannte diesen Mann. Es war derselbe, der auf einem der Bilder abgebildet gewesen war, die Rolf bei seiner überstürzten Flucht aus der Baracke verloren hatte. Keller hatte ihn auf der ersten unscharfen Aufnahme nicht zuordnen können, jetzt aber schon!
Er fragte sich, welche Folgen seine Entdeckung auf die weiteren Ermittlungen haben würden. Große oder kleine? War er auf den entscheidenden Hinweis gestoßen oder bloß auf ein weiteres unbedeutendes Teilchen eines großen Puzzlespiels? Er konnte dies unmöglich auf die Schnelle beurteilen. Er brauchte Zeit, um seinen Fund zu deuten – und entschied sich dafür, Jasmin Stahl vorläufig nichts darüber zu sagen. Sie und ihre Kollegen würden in absehbarer Zeit selbst auf die Aufnahmen stoßen und Maßnahmen ergreifen, wenn sie es für nötig hielten.
»Schnelleisen ist unterwegs«, sagte Jasmin Stahl außer Puste, als sie zurück ins Kellerabteil kam.
»Dann mache ich mich aus dem Staub«, meinte Keller.
»Ist wohl das Beste«, stimmte die Kommissarin zu und mied seinen Blick.
»Schon okay, ich habe hier nichts zu suchen«, sagte Keller freundlich. »Danke, dass Sie mich überhaupt mitgenommen haben.«
Er war bereits im Begriff zu gehen, als die Kommissarin fragte: »Wie kommen Sie nach Hause?«
»Bus oder Straßenbahn. Ist kein Problem. Ich komme schon klar.«
27
Sein Handy konnte er nicht finden, was wohl an der Skijacke lag, zu der Keller am frühen Morgen gegriffen hatte; wahrscheinlich steckte das Ding noch in der Tasche seines Mantels. Er musste sich nach einer Telefonzelle umsehen, um seine Frau zu erreichen, und hatte Glück, eine dieser klassisch gelben Raritäten in der Nähe der Bushaltestelle zu entdecken.
»Guten Morgen, Schatz, hast du meine Nachricht gefunden?«, meldete er sich.
»Ja, ich hoffe nur, es wird nicht zur Gewohnheit«, antwortete Doris leicht säuerlich.
»Keine Sorge. Es dreht sich immer noch um meinen letzten Fall. Solange der nicht abgeschlossen ist, finde ich keine Ruhe. Aber danach …«
»Mach keine voreiligen Versprechungen.«
»Glaub mir, Doris, ich gehöre nicht zu den Typen, die nicht loslassen können. Wenn ich diese eine Sache durchgezogen habe, hänge ich das Kriminalerleben ein für alle Mal an den Nagel. Verspro…«
»Ich sagte doch: Gib keine Versprechen ab, die du hinterher nicht halten kannst.«
Keller schmunzelte. »Manchmal habe ich das Gefühl, dass du mich besser kennst als ich mich selbst. Also gut: Ich bemühe mich, nach Abschluss dieses Falls ein ganz normales Rentnerleben zu führen. Und mit dir auf Reisen zu gehen.«
»Schon besser. – Kommst du jetzt heim? Ich habe mit dem Frühstück auf dich gewartet.«
Keller sah auf die Uhr. »Hm. Mit dem Frühstück wird es nichts werden. Ich muss noch etwas erledigen.«
»Ach, ja? Was denn, wenn man fragen darf?« Das Misstrauen in ihrer Stimme ließ sich nicht überhören. Oder war es Sorge?
»Ich fahre noch einmal raus zum Klinikum. Ich möchte mich mit einem der Ärzte unterhalten. Seine Meinung interessiert mich.«
»Wenn du meinst. Dann erwarte ich dich aber spätestens zum Mittagessen. Es gibt saure Zipfel, dein Leibgericht.«
»Ich kann es kaum erwarten«, sagte Keller im schmeichelhaftesten Ton, den er zustande brachte.
Mit Schnelleisen strömten drei Beamte der Spurensicherung in den kleinen Kellerraum und begannen ihr emsiges Treiben. Jasmin Stahl schilderte ihrem Vorgesetzten kurz und prägnant die Sachlage, wobei sie der hochgewachsene Kripochef streng ansah, als versuchte er, sie mit seinen kalten, grauen Augen zu durchleuchten.
»Das ist alles?«, fragte er, wobei der Vorwurf mitschwang, dass sie ihm etwas verheimlichte.
»Ja, das ist
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