Familienpakt: Kriminalroman (German Edition)
alles«, sagte Jasmin Stahl und schloss sich der Arbeit ihrer Kollegen an, um nicht länger mit Schnelleisen reden zu müssen.
Es vergingen keine zehn Minuten, bis die ersten Meldungen laut wurden: »In dieser Fotoreihe wurde erst vor Kurzem ein Bild entfernt«, zeigte eine junge Beamtin in weißem Overall an. »Das Türschloss weist Aufbruchspuren auf«, kam es fast zeitgleich von einem anderen Tatortspezialisten, der mit Lupe und Stabtaschenlampe neben der Tür kniete.
»Der Reihe nach«, bestimmte Jasmin Stahl und zog sich einen weiteren bösen Blick ihres Chefs zu. Sie stellte sich neben die Kollegin, die auf das fehlende Bild hingewiesen hatte, und las das Namensschild, mit dem die Fotoreihe gekennzeichnet war. »Donnerwetter!«, rief sie.
Schnelleisen stand mit einem großen Schritt neben ihr. »Was ist?« Er kniff die Augen zusammen, um den Namen ebenfalls lesen zu können. »Prof. Dr. Joseph Hancke«, las er stockend. »Ist das nicht der …«
»Ja«, unterbrach Jasmin Stahl seinen nur langsam anlaufenden Denkprozess. »Genau der!«
Keller verließ den Bus und schritt den langen, breiten Weg zum Haupteingang des riesigen Krankenhauses ab. Der Weg, auf den letzten hundert Metern mit Glas überdacht, hätte den Namen Boulevard verdient, denn er wirkte auf Keller in gewisser Weise majestätisch. Der hohe, breite, ausladende Gebäudekomplex, auf den er zusteuerte, könnte trotz der modernen Bauweise auch ein Schloss oder eher noch eine Burg darstellen. Eine Burg, in der sich statt Rittern und Edelfräulein die Ärzte und Ärztinnen, Schwestern, Pfleger und Verwaltungskräfte mit Ränkeschmieden, Intrigen und offenen Feindschaften das Leben zur Hölle machten. So jedenfalls sah es Keller, der sich mit schwerwiegenden Vorwürfen gegenüber dem Burgherrn plagte und als Beweis dafür eine Fotografie bei sich trug.
Konrad Kellers Vermutung war dermaßen heikel und gewagt, dass er den Ärztlichen Direktor unmöglich sogleich persönlich mit dem konfrontieren konnte, auf das er gestoßen war. Denn niemand anderes als der Ärztliche Direktor, der oberste Krankenhausboss höchstselbst, war auf dem Foto zu sehen, das er in Rolfs Keller von der Wand genommen hatte: Prof. Dr. Hancke, der Chef des Klinikums, in flagranti abgelichtet mit Krankenschwester Anne!
Da es nur einige wenige Personen gab, die Keller im Klinikum bekannt waren und mit denen er während der Mordermittlungen zu tun gehabt hatte, wollte er sich an Dr. Bartels wenden. Ihn hatte er in Zusammenhang mit dem Verdacht gegen Wollschläger verhört, und Bartels hatte auf ihn den Eindruck eines Mannes nicht nur mit Sachverstand, sondern vor allem auch mit gesundem Menschenverstand gemacht. Steffen Bartels erschien Keller daher als geeigneter Gesprächspartner für ein erstes, vorsichtiges Ausloten der Rolle des Ärztlichen Direktors.
»Und jetzt zu Ihnen«, übernahm Schnelleisen das Zepter, ehe Jasmin Stahl abermals vorpreschen konnte. Der hünenhafte Hauptkommissar beugte sich zu dem Kollegen am Türschloss hinunter. »Sie sagen, diese Tür wurde aufgebrochen? Kann das unser Heißsporn gewesen sein?«, fragte er mit Blick auf Jasmin Stahl.
»Die Spuren stammen von einem nicht fachmännisch benutzten Dietrich«, erklärte der Ermittler sachlich.
»Ich habe den Schlüssel benutzt«, rechtfertigte sich Jasmin Stahl, »aber er ließ sich schwer drehen und hakte. Darüber habe ich mich auch schon gewundert.«
Schnelleisen legte seinen Zeigefinger ans Kinn, wohl um eine Denkerpose vorzugeben. Getragen erklärte er: »Wenn sich jemand vor Ihnen Zutritt zu dem Kellerabteil verschafft hat, kann das nur dem Zweck gedient haben, etwas aus diesem Raum zu stehlen.« Er nahm den Finger langsam aus dem Gesicht und zeigte auf die Fotoreihe des Klinikchefs. »Der unbekannte Einbrecher hatte es auf das fehlende Foto abgesehen, weil …«
»Weil?«, fragte Jasmin Stahl, da ihr Chef nicht weiterredete. »Das ergibt doch keinen Sinn: Wenn jemand die Bilder des Ärztlichen Direktors verschwinden lassen wollte, hätte er alle entfernt und nicht bloß eines.«
»Vielleicht wurde er gestört«, suchte Schnelleisen nach einer Erklärung und sah die Kommissarin finster an. »Vielleicht durch Sie.«
»Dann wäre er mir direkt in die Arme gelaufen«, entgegnete Jasmin Stahl. »Hier gibt es nur den einen Ein- und Ausgang.«
Schnelleisen wollte ihr abermals widersprechen, sie zurechtweisen, doch die unvermindert weiterarbeitenden Spurensicherer hatten zwei neue Entdeckungen zu
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