Familienpoker: Vijay Kumars vierter Fall (German Edition)
Vorhaben fort.
»Wir würden uns gerne für die Verdienste des Ordens erkenntlich zeigen«, präzisierte José, und ich setzte einen Gesichtsausdruck auf, den zumindest ich für fromm hielt.
Als hätte er ein Codewort ausgesprochen, hielt die Ordensschwester plötzlich inne und ihre ausgemergelten Lippen verzogen sich zu etwas Ähnlichem wie einem Lächeln. »Oh, eine Spende, wie schön!«
Auch nach dem Ende des Ablasshandels im sechzehnten Jahrhundert schien sich in der katholischen Kirche nicht viel verändert zu haben: Die Aussicht auf Profit ließ nicht nur Himmelspforten aufschwingen.
Wohl deswegen gab sich die Nonne auch mit einem Mal redselig, während sie eifrig zur Seite trippelte, um uns durchzulassen: »Woher kommen Sie denn?«
»Aus der Schweiz«, antwortete ich.
»Woher?« Sie beugte sich vor und hielt sich die eine Hand ans Ohr.
»Venemos de suiza.«
» Qué bien! So eine lange Anreise nur wegen einer Spende!«
»Nun, wir brauchen auch eine Auskunft«, berichtigte ich.
José rollte die Augen, während die Schwester misstrauisch den Kopf hob und in die Mitte des Türrahmens zurückrückte. »Auskunft? Worüber denn?«
»Über eine Adoption, welche die Mutter Oberin vor sechzehn Jahren arrangiert hat.«
Das Lächeln versickerte in ihren unzähligen Falten. »Davon weiß ich nichts«, erklärte sie schroff.
»Aber die Mutter Oberin vielleicht …«
»Sie ist nicht da. Eine Pilgerreise.«
»Eben haben Sie doch gesagt …«
»Ich habe mich geirrt. Und jetzt verschwinden Sie!« Unwirsch wedelte sie mit der Hand in unsere Richtung, als wären wir streunende Hunde.
Perplex trat ich einen Schritt zurück, als etwas Sandartiges über meinen Arm rieselte. Im ersten Moment hielt ich die Körnchen für Verputz, der von der Fassade bröckelte, doch als ich sie wegwischen wollte, stutzte ich und besah mir den ungewohnt dunklen Sand näher. Zwar hatte ich vom Schirokko gehört, dem heißen Wüstenwind, der die Sandkörner aus der Sahara übers Mittelmeer trug, doch diese Brösel waren dafür eindeutig zu grob. Und rochen zu sehr nach Schokolade.
Ruckartig blickte ich nach oben und starrte in das verwitterte Gesicht einer weiteren Ordensschwester, welche sich drei Stockwerke höher mit der angebissenen Hälfte eines Plätzchens in der Hand neugierig über das Fenstergeländer beugte. Der Verzicht auf weltliche Freuden schien sich positiv auf die Lebenserwartung auszuwirken. Blitzschnell zog sie sich zurück, doch ich hatte die Frau an der hässlichen Warze über der Oberlippe erkannt. Die Pilgerreise musste die Mutter Oberin gerade mal zum Vorratsschrank geführt haben.
»Halt! Warten Sie!« Gerade noch rechtzeitig hinderte ich die Nonne daran, uns die schwere Holztür vor der Nase zuzuschlagen. Mit dem Todesmut einer Märtyrerin stellte sie sich mir in den Weg, doch sie beiseitezuschieben, kostete mich kaum Anstrengung. Sie war leicht wie eine Strohpuppe. José bekreuzigte sich bestimmt ein halbes Dutzend Mal und entschuldigte sich in flehentlichem Ton bei der zeternden Alten, bevor er mir ins Treppenhaus folgte.
»Musste das sein?«, schimpfte er.
»Sie hat mir den Weg versperrt.«
»Vijay, so darf man mit einer Braut Jesu nicht umgehen! Wir sind immerhin in Spanien!«
»Tolle Bräute hat der! Lügen die alle so plump?«
»Du musstest ihr ja gleich das Gesamtprogramm auf die Nase binden!«
»Und du wolltest sie mit Spenden bestechen!«
»Ich bin katholisch, ich darf das.«
Ich schnalzte unwillig. Wie so viele moderne Katholiken gab sich José aufgeklärt und unbeeindruckt von der ganzen Selbstbeweihräucherung seiner Kirche, doch kaum rasselte irgendeine zittrige Alte drohend mit dem Rosenkranz, hörte er bereits das Knistern des Fegefeuers.
Die Tür im dritten Stock war nur angelehnt. Dank den geschlossenen Fensterläden herrschten in der Wohnung angenehme Temperaturen, dafür dauerte es einen Moment, bis sich meine Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten. Wie von Irene Winter beschrieben, machte das Apartment einen weitläufigen Eindruck. Der Parkettboden war ausgeblichen und knarrte bei jedem Schritt, im Eingangsbereich, der von einer matt leuchtenden Lampe nur spärlich erhellt wurde, stand ein hüfthohes Tischchen mit einem Telefon, daneben ein rissiger Ledersessel. An die Wand hinter dem Apparat war eine handgeschriebene Liste mit den wichtigsten Kontakten geheftet, ringsherum hingen etliche Gemälde der Jungfrau Maria, auf denen das permanente Leiden der Ärmsten pathetisch
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