Familienpoker: Vijay Kumars vierter Fall (German Edition)
den Durchgang. Wir drückten uns an die Seitenwand und hofften, dass uns die beiden Jungs im Schatten der Pforte nicht entdeckten. Wie es schien, vermuteten sie uns aber irgendwo zwischen den Bäumen hinter dem Denkmal. Auf jeden Fall starrten sie angestrengt zu dem Wäldchen und dem dahinter verlaufenden Weg, während sie sich halblaut unterhielten. Beide trugen weiße Tanktops und Militärhosen, der Jüngere hatte sich einen drahtigen Kinnbart geflochten, der bis zur Mitte seiner Brust reichte, der andere fiel durch seinen kahl rasierten Schädel auf.
Wir hielten den Atem an, als sie uns passierten, und versuchten eins zu werden mit dem Marmor in unserem Rücken. Hätte in diesem Moment einer der Burschen hochgeblickt, wären wir verloren gewesen.
»Was soll das?«, zischte José, als sie weit genug entfernt waren.
»Gelangweilte Jugendliche. Die machen sich einen Sport daraus, nachts im Park Leute zusammenzuschlagen.« Die Situation hatte eine erschreckende Ähnlichkeit mit meinem letzten großen Fall, bei dem in der Bäckeranlage in Zürich zwei Männer beinahe zu Tode geprügelt worden waren.
»Glaubst du, das ist ein Zufall? Was, wenn mehr dahintersteckt? Die Ordensschwester, die nicht zum Treffen erscheint …«
»… und an ihrer Stelle schickt die Mutter Oberin einen Schlägertrupp, um uns einzuschüchtern? Etwas weit hergeholt, findest du nicht? Und nicht besonders christlich.«
José verzog den Mund. »Möglich wäre es. Die Glaubensgrundsätze interpretieren die Schwestern ohnehin sehr frei, wenn du mich fragst. Diese Maria hat uns heute bereits die Polizei auf den Hals gehetzt.«
Irgendwie konnte ich mir nur schwer vorstellen, dass eine der Nonnen Kontakt zu Jugendbanden unterhielt, aber was wusste ich denn schon vom Leben einer Ordensschwester? Was, wenn Josés Vermutungen zutrafen? Siedend heiß fiel mir mein nächtliches Rendezvous ein.
»Falls du recht hast, müssen wir sofort zu Schwester Alma!«, flüsterte ich.
Die Schläger hatten sich am Ufer des Sees niedergelassen und sich etwas beruhigt, was nicht zuletzt am Joint lag, den sie gerade rauchten, auch die Flasche zirkulierte wieder. Gut für uns, dass die Aufmerksamkeitsspanne der heutigen Generation so kurz geworden war.
Einzig der Anführer tigerte noch über den Platz und lauerte darauf, dass wir uns verrieten.
Wir warteten ab, bis er zu seinen Kumpanen zurückkehrte, kauerten uns dann vorsichtig nieder und rutschten über den Rand des Säulensockels. Mit einem Knirschen landeten wir auf dem Spazierweg.
»Schnappt diese Gilipollas! Sie sind dort hinten irgendwo!«, hetzte das Jüngelchen alarmiert seine Gang auf und wir spurteten los. Durch das Wäldchen zum Spazierweg dahinter, der zwar beleuchtet war, dafür aber zurück zum See und damit Richtung Nordportal führte.
Wir hatten einen ansehnlichen Vorsprung. Als ich zurückblickte, stürzten gerade vier Jungs aus dem Durchgang des Halbrunds, der Ziegenbart und sein kahlköpfiger Kumpel sprinteten dagegen von der anderen Seite des Monuments auf uns zu, um uns den Weg abzuschneiden. Gelangten sie vor uns zur Uferpromenade, saßen wir in der Falle.
Kurz nachdem wir das Ende des Säulenganges erreicht hatten, stießen sie zu uns. Ein paar Sekunden lang rannten wir zu viert nebeneinanderher, fast schien es, als wollten sie uns überholen. Doch plötzlich schwenkten sie ab und rempelten uns an. José fiel hin, während ich strauchelte, mich aber knapp auf den Beinen halten konnte. Der erste Fausthieb traf mich in die Seite und ich klappte zusammen. Für einen Moment blieb mir die Luft weg, doch ehe mich der Bärtige erneut angreifen konnte, hatte ich mich wieder aufgerichtet. Beinahe zierlich kam er mir vor, nun da er vor mir stand, ich war definitiv massiger und auch größer. Was keineswegs ein Vorteil war, wie ich bemerkte, als der Junge um mich herumzutänzeln begann.
Der Kahlköpfige hatte sich sofort auf José gestürzt und traktierte ihn mit den Fäusten. Ich war überhaupt nicht erpicht auf Prügeleien, das war nicht mein Stil. Doch mein Angreifer ließ mir keine Wahl. Gleich würde der Rest der Truppe eintreffen und damit auch die schwer bewaffneten Jungs. Gegen sechs von denen hatten wir nicht den Hauch einer Chance.
Ich machte einen schnellen Schritt auf den Jungen zu, packte ihn an seinem vorwitzigen Ziegenbärtchen und schlug ihm die Faust ins verdutzte Gesicht. Er schrie auf und torkelte, Blut schoss aus seiner Nase. Ohne den Griff um seinen Bart zu lockern, zerrte
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