Familienpoker: Vijay Kumars vierter Fall (German Edition)
ich ihn die wenigen Schritte zum Seeufer und stieß ihn ins Wasser.
José hatte mittlerweile ebenfalls die Oberhand gewonnen, er war mit seinem Widersacher eng verknäuelt über den Rasenstreifen neben dem Weg gerollt, hatte sich aber irgendwie auf die Beine gekämpft und hielt nun den kahlköpfigen Jüngling im Schwitzkasten eingeklemmt.
»Bitte nicht ins Wasser!«, winselte dieser in panischer Angst, als er merkte, was José mit ihm vorhatte. »Ich kann nicht schwimmen!«
»Umso besser!«, stieß mein Freund atemlos hervor, machte zwei schwungvolle Drehungen und ließ los.
Der Kleine flog durch die Luft und klatschte ins Nass. Das Wasser war zwar nicht allzu tief, aber auf alle Fälle tief genug für einen Nichtschwimmer, um zu ertrinken.
»Weiter!«, trieb ich José zur Eile an. Die restlichen Verfolger bogen gerade in den Uferweg ein, gleichzeitig begann der Junge im See, um Hilfe zu schreien: »Socorro! Socorro!«
Dass sie ihn und seinen Kumpel erst herausfischen mussten, verschaffte uns etwas Zeit. Ohne zurückzublicken, hetzten wir zur hell erleuchteten Kreuzung, an der Casa de Vacas vorbei und über den kreisrunden Platz mit dem Pavillon. Als wir den Weg beinahe erreicht hatten, der geradewegs zum Nordportal führte, waren mit einem Mal von links schnelle Schritte zu hören, Äste knackten und jemand schnaufte laut und rhythmisch. Wie ein Langstreckenläufer.
José und ich tauschten einen erschrockenen Blick aus und beschleunigten, erst als wir in das Sträßchen einbogen, entdeckten wir, dass wir gleich von zwei Typen verfolgt wurden.
Beim Brunnen mit der Fontäne holten sie uns ein. Der Junge, der mir schon zuvor wegen seiner blond gefärbten Haare aufgefallen war, kriegte mein Hemd zu fassen. Mit einer ruckartigen Bewegung riss ich mich los und versetzte ihm einen wütenden Stoß, der ihn taumeln ließ. Der andere, ein unscheinbarer Bursche mit dunklem Haar, war José dicht auf den Fersen. Ich sprintete ihm hinterher und rempelte ihn von der Seite an, sodass er hinfiel und sich auf dem Rasen überschlug. Blitzartig sprang er wieder auf die Beine und setzte uns gemeinsam mit seinem Kumpel nach. José und ich stürzten durch das Portal. Mos Wagen stand immer noch vor dem Nordtor.
»Lass den Motor an!«, schrie José und rannte auf den klapprigen Seat zu, seine Stimme überschlug sich dabei.
Mónicas Augen weiteten sich entsetzt, eilig startete sie die Kiste und stieß gleichzeitig die Beifahrertür auf. José hechtete hinein, ich warf mich derweil auf die Rückbank.
Die beiden Verfolger kamen genau in dem Moment durch das Portal gespurtet, als Mo mit quietschenden Reifen anfuhr. Als ich mich rauslehnte und hastig die Autotür zuzog, konnte ich die Enttäuschung und die ungestüme Wut in ihren Gesichtern deutlich erkennen. Dem Blonden gelang es gerade noch, aufgebracht mit der Faust auf den Kofferraumdeckel zu hämmern, bevor der Wagen unsanft über die Gehsteigkante rumpelte und auf der Schnellstraße ostwärts davonbrauste.
»Das war knapp!« José schnappte nach Luft, Schweiß lief ihm übers Gesicht und dunkle Flecken übersäten sein Hemd.
Ich sah keinen Deut besser aus, meine Hand schmerzte vom Schlag, den ich dem Bärtigen versetzt hatte. Wenigstens war ich endlich meinem Vorsatz nachgekommen, mehr Sport zu treiben. Wenn auch unfreiwillig.
»Zigarette!«, keuchte ich, worauf mir José die Packung zusammen mit einem Feuerzeug nach hinten reichte.
»Und dann auf direktem Weg zur Calle de la Bola!«
»Sehr wohl! Und wann gedenkt ihr, mich in eure nächtlichen Parkerlebnisse einzuweihen?« Mo zog auffordernd die Augenbrauen hoch, als sich unsere Blicke im Rückspiegel trafen. Ungeachtet dessen drückte sie aufs Gaspedal und bog bei der nächsten Ausfahrt links ab. Der Wagen schoss durch ein ausgestorben wirkendes Geschäftsviertel mit breiten Fahrbahnen, bevor Mo nach zwei Blocks das Steuer herumriss und in ein schmales Einbahnsträßchen preschte. Eine Gruppe junger Mädchen sprang kreischend zur Seite, ansonsten war die Gasse glücklicherweise menschenleer. Rumpelnd raste der Seat über eine Kreuzung und schwenkte dann rasant in eine mehrspurige Straße ein.
Ich wurde auf dem Rücksitz hin und her geschleudert und umklammerte mit einer Hand den Griff der Autotür, mit der andern hielt ich die brennende Zigarette von meinem Gesicht fern.
Geradeaus tauchten erneut die hohen Bäume und das Buschwerk des Retiros aus der Dunkelheit auf, gleich darauf schob sich ein viel pompöseres Tor als
Weitere Kostenlose Bücher