Familienpoker: Vijay Kumars vierter Fall (German Edition)
Treppenhaus überrascht. Wie will sie einen Spaziergang mitten in der Nacht erklären?«, überlegte José. »Wahnsinnig glaubwürdig ist das nicht gerade.«
»Sie hat einen Hund, ich hab ihn in der Wohnung bellen gehört.«
Ich hatte auch vernommen, wie sich eine Tür schloss, kaum hatte ich Schwester Alma verlassen. Waren wir tatsächlich belauscht worden? Glücklicherweise hatte Alma nichts Relevantes verraten und was auf der Rückseite des Zettels stand, konnte die Spionin ja unmöglich ahnen.
Die Jungs waren näher zueinandergerückt und schienen sich zu beraten. Einer hob plötzlich den Kopf und sah direkt zu uns herüber.
»Da stimmt was nicht«, warnte ich José leise. »Lass uns abhauen!« Ich nahm einen letzten Zug und trat die Fluppe aus. Unauffällig glitten José und ich von der Brüstung, doch der Trupp hatte sich schon in Bewegung gesetzt. Sie waren zu sechst. Wir gingen gemessenen Schrittes auf den Spazierweg hinter dem Gebäude zu. Als ich über die Schulter zurückschaute, hatte einer der jungen Männer einen Schlagstock gezückt. Das Klatschen, mit dem er sich damit rhythmisch auf die offene Handfläche schlug, beschleunigte meinen Herzschlag.
»Maricones!«, grölte einer, was von den andern mit einem dreckigen Lachen beantwortet wurde.
Wir gingen etwas schneller und erreichten eine hell erleuchtete Kreuzung, von der aus etliche Sträßchen sternförmig wegführten.
Zum monotonen Klatschen gesellte sich jetzt das knirschende Geräusch eines Baseballschlägers, den ein anderer Bursche mit blond gefärbtem Haar lässig hinter sich her über den Kies schleifte. Die Bande schrie uns Schimpfwörter auf Spanisch hinterher, die garantiert nicht in meinem Sprachführer aufgelistet waren.
Der Park war um diese Zeit beinahe menschenleer. Auf dem Weg hierhin hatte ich ein eng umschlungenes Liebespaar gesehen, von dessen Seite keine Hilfe zu erwarten war.
Rasch holte die Bande auf, der Krawall, den sie dabei veranstaltete, zerriss die Stille der Nacht.
Am Rand der Kreuzung blieben die Jungs stehen, als scheuten sie das Licht der Straßenlaternen. Als ich mich nach ihnen umwandte, erkannte ich eine primitive, beinahe animalische Brutalität in ihren erstaunlich jungen Gesichtern. Sie waren fast noch Kinder. Allerdings sahen sie nicht danach aus, als könnten wir ihnen ihr zerstörerisches Vorhaben ausreden, indem wir auf didaktisch wertvollere Beschäftigungen hinwiesen. Sie sahen überhaupt nicht danach aus, als könnte man mit ihnen reden.
»Lauf!«, rief ich und rannte auf den düsteren Weg zu, der entlang eines rechteckigen Wasserbeckens weiter in den Park hineinführte. José folgte mir unverzüglich, während hinter uns euphorisches Gejohle ausbrach. Dann vernahm ich das Wetzen von Gummisohlen auf dem Asphalt. Die Jagd hatte begonnen.
Wir hetzten am Ufer des künstlichen Sees entlang, unter den herabhängenden Ästen hindurch, bis vor uns das Denkmal Alfonsos XII . auftauchte, ein griechisch anmutendes Monument mit einem halbrunden Säulengang, in dessen Zentrum eine Reiterstatue aus Bronze auf einem Sockel thronte.
»Hier lang!«, rief José und lief geduckt der Rückseite des Gangs entlang. Glücklicherweise war die Statue nur zurückhaltend beleuchtet, eine Handvoll Scheinwerfer strahlte zusätzlich vom Dach des Säulengangs über den See. Der Bereich hinter dem Monument, wo wir uns gerade befanden, lag im Schatten.
Unsere Verfolger waren uns dicht auf den Fersen, lärmend stürzten sie auf den weiten Platz vor dem Halbrund und bremsten jäh ab, als sie uns nicht mehr sahen. Der Blonde brüllte genauso drohend wie sinnlos in die Dunkelheit hinaus. Angespannt und vom Adrenalinstoß immer noch ganz zappelig, hielten ein paar der Jungs nach uns Ausschau, während die anderen maulend am Fuß von Alfonsos Statue herumlungerten.
Wenn wir uns aufrichteten, konnten wir gerade knapp über den Rand der Mauer sehen. Ein drahtiges Jüngelchen schien der Anführer zu sein, mit heiserer Stimme brachte es etwas Ruhe in den Tumult und schickte seine Kumpel in Zweiergruppen aus, nach uns zu suchen. Das Klatschen des Schlagstocks setzte wieder ein, jemand stieß eine Art Kriegsgeheul aus.
»Schnell!« Ich kletterte so geräuschlos wie möglich den Säulengang hinauf und reichte José die Hand, als sich eilige Schritte näherten.
Der Halbkreis war genau in der Mitte von einer etwa sechs Meter breiten Lücke unterbrochen, zwei pompöse Säulen, die um einiges höher waren als die restlichen, flankierten
Weitere Kostenlose Bücher