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Familientherapie ohne Familie

Titel: Familientherapie ohne Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Weiss
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nicht gesehen...« ist eine häufige Reaktion auf diese Fragetechnik.
    Neben Beschwerden können so auch Beziehungen differenziert werden:
    Zur Mutter: »Wer steht denn Ihrer Tochter am nächsten (an zweiter, dritter, vierter Stelle)?«
    Zur Tochter: »Würdest du das auch so sehen? Wie siehst du eine solche Rangfolge? Was meinst du, wie dein Vater sie machen würde?«
    Solche Skalen lassen sich dann auch mit anderen Fragen kombinieren:
    »Gesetzt den Fall, dein Bruder würde nicht mehr einnässen, wie würde dann die Reihenfolge aussehen?«

    Die letzte Frage leitet über zu der gleichfalls häufig benutzten Technik des hypothetischen Fragens:
    »Was wäre, wenn die Beschwerden besser würden...?«
    »Gesetzt den Fall, die Beschwerden würden sehr viel schlechter...?«
    »Gesetzt den Fall, die Mutter würde morgens nicht mehr wie üblich still die nasse Bettwäsche wegräumen, sondern diese Arbeit dem Sohn überlassen...?«
    Mit solchen hypothetischen Fragen lassen sich psychodynamische Zusammenhänge unaufdringlich darstellen (beispielsweise könnte sich eine Veränderung im Verhältnis der Geschwister zu den Eltern ergeben, falls der Junge das Symptom aufgibt). Außerdem kann nebenbei eine Handlungsalternative angeboten werden. Der Therapeut vermeidet eine Stellungnahme und wertet nicht. Er bleibt neutral.
    »Wenn sich Mario in den nächsten drei oder vier Wochen entschließen sollte, die Familie mit einem trockenen Bett zu überraschen, wie wird dann wohl Ihr Mann reagieren?«
    Das ist ein Beispiel für implizite positive Wendungen. Dabei wird zum Beispiel angenommen, dass sich Mario dazu entschließen kann. Daneben wird davon ausgegangen, dass es ihm Spaß machen wird, die Eltern zu überraschen. Aber der Therapeut macht das nicht zum Hauptthema, er erwähnt das nur nebenbei, seine eigentliche Frage gilt ja der Reaktion des Vaters.
    So können dann die Fragen im weiteren Verlauf des Interviews zum eigentlichen Vermittler der Therapie werden: Fragen als eine Methode, Wandlung zu erreichen. Voraussetzung ist dabei allerdings, dass hinter den Fragen eine Intention steht, ein (systemisches) Verständnis der zugrunde liegenden Dynamik.
    Luigi Boscolo und Gianfranco Cecchin vermuteten, eines Tages die Fragetechnik so weit entwickelt zu haben, dass sie auf eine explizite therapeutische Botschaft (Intervention) verzichten könnten.
    Wenn nach 50 bis 120 Minuten Interview der Therapeut zu dem Schluss kommt, die Fakten seien klar geworden und
er habe eventuell auch schon viele indirekte Denkanstöße gegeben, wird er – wie anfänglich der Familie erklärt – eine Pause einlegen, um sich mit den Kollegen hinter der Scheibe zu beraten.
    Meist sind alle Beteiligten über die Pause gleichermaßen erfreut. Familien empfinden die ungewohnten Fragen als sehr anstrengend. Während der Pause wird die Familie nicht beobachtet (bzw. die Tonübertragung wird unterbrochen), und Therapeut und Team tauschen dann ihre Eindrücke aus. Dabei folgt man der Regel, lineare Hypothesen sollten am Anfang unzensiert geäußert werden: »Die Mutter ist ja unmöglich, ein heimlicher Drache, da würde ich auch ins Bett machen!« Oder: »Anstelle der Mutter würde ich mit so einem Kind verzweifeln...!«
    Langsam wird das Team sich vom ersten emotional aufgeladenen Eindruck befreien und die geäußerten Gefühle mit verwenden, um zu einem systemischen Verständnis der Familie zu kommen. Dabei gilt in der Mailänder Vorgehensweise die Regel, sich Zeit zu lassen. Klugerweise bestellt man keine zweite Familie für den Nachmittag. Im Allgemeinen wird man wohl mit 15 bis 45 Minuten auskommen. Falls nicht, besteht immer die Möglichkeit, einen Brief zu schreiben, in dem die Intervention schriftlich mitgeteilt wird.
    Bei der Formulierung der Intervention wird darauf geachtet, möglichst alle Familienmitglieder mit einzubeziehen. Weiterhin ist es sinnvoll, nur die Informationen zu nutzen, die wirklich aus der Stunde stammen und die inhaltlich geklärt werden konnten. Stützt sich der Therapeut auf Mutmaßungen, wird er möglicherweise die Antwort erhalten: »Nein, das sehen Sie ganz falsch, meine Tochter macht das doch immer ganz anders, als Sie vermuten...«
    Die Art der Interventionen folgte im Mailänder Modell (in der Version von Luigi Boscolo und Gianfranco Cecchin) keinem bestimmten Schema. Alle Interventionen waren in ihrer Art einzigartig, allerdings waren gewisse Ähnlichkeiten erkennbar. Der Übersicht halber kann man die beiden

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