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Familientherapie ohne Familie

Titel: Familientherapie ohne Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Weiss
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Interventionen erwähnen: die positive Symptombewertung und die Verschreibung von Ritualen.
    Das Team mag sich also im Beispiel dazu entschließen, das Bettnässen erst einmal positiv zu konnotieren, da das Team glaubt, der Junge versichere auf diese Weise der Mutter, dass er noch klein sei und sie brauche. Deshalb könne die Mutter ihrem Wunsch, arbeiten zu gehen, nicht folgen. Auch der Vater habe davon den Vorteil einer unangefochtenen Stellung in der Familie. Die Tochter habe keinen ersichtlichen Vorteil, bis auf den, sich ungestört entwickeln zu können, sozusagen im Windschatten des Symptoms. Dementsprechend kann sich eine Verschreibung der Nicht-Veränderung anschließen.
    Wenn der Therapeut der Familie die Intervention vortrug, so geschah das »in Mailand« häufig mit einem Gefühl für den dramatischen Effekt. Durch die Pause war bei der Familie mittlerweile die Spannung gestiegen, wie wohl die Meinung der Therapeuten sein würde, besonders, da noch unbekannte Experten im Hintergrund gewesen waren.
    Die Intervention hörte sich dann für die Familie ungefähr folgendermaßen an:
     
     
    Das Team und ich haben lange darüber nachgedacht, was wir Ihnen zu sagen haben. Erst einmal wollten wir sagen, dass wir von dem guten Zusammenspiel beeindruckt waren, das Sie als Familie haben. Vor allem die große Offenheit fanden wir bewundernswert, wie Sie ohne Umschweife über Ihre Angelegenheiten sprechen können.
    Nun kommen Sie wegen des Einnässens von Mario. Wir haben uns überlegt, wie kommt es, dass so eine kompetente Familie wie Sie mit so einem Problem nicht fertig wird? Wir sind zu einem etwas überraschenden Schluss gekommen: Wir glauben, dass sich Mario entschlossen hat, der Familie einen Dienst zu erweisen, ohne dass ihn jemand dazu aufgefordert hätte.
    Wir verstehen nämlich Marios Bettnässen als Versicherung an seine Mutter, dass er unter den jetzigen Bedingungen noch nicht auf sie verzichten kann. Er verhält sich im Moment wie
ein kleines Kind, ein Baby, damit die Mutter nicht der Versuchung erliegt, wieder arbeiten zu gehen. Damit tut er der Mutter vielleicht tatsächlich auch einen Gefallen, das wissen wir nicht ganz so genau. Auch dem Vater hilft er in gewisser Art und Weise, da der Vater so Chef in der Familie bleibt. Die Schwester schließlich kann auf die Weise besser ihre eigenen Wege gehen, da Mario die gesamte Aufmerksamkeit auf sich nimmt. Weil wir das so sehen und weil wir jetzt auch keine Lösung wissen, können wir der Familie nicht empfehlen, irgendetwas vorschnell zu ändern. Zwar ist es lästig, fast täglich die Bettwäsche zu wechseln, auch ist es für einen zehnjährigen Jungen sicher nicht einfach, sich dauernd wie ein Zwei- oder Dreijähriger zu verhalten, aber alle anderen Änderungen sind noch voller Unsicherheit. Wir können Ihnen daher zurzeit leider noch keine Alternative anbieten.
     
    Eventuell konnte der Therapeut hier auch eine Verhaltensalternative andeuten:
     
    Wir hatten da eine Familie, die löste das Problem, indem sie das und das unternahm. Aber in Ihrem Fall kommt das wahrscheinlich nicht infrage, da Ihnen das zu hartherzig vorkommen wird.
     
     
    Solches Andeuten und gleichzeitig wieder Verwerfen konnte die Familie anregen, über die angedeutete Möglichkeit ernsthaft nachzudenken, da die Bedenken gegen eine solche Lösungsmöglichkeit schon im Vorschlag enthalten waren.
    Die Sitzung wurde dann im Anschluss an die Intervention zügig beendet. Teilweise kündigten die Therapeuten das schon durch eine Bemerkung vor der Intervention an: »Wir werden nachher keine Zeit mehr haben. Wenn Sie daher noch Fragen haben, stellen Sie sie mir bitte jetzt. Als nächsten Termin schlage ich den x.x. vor.«
    Im Anschluss an die Intervention stand der Therapeut auf und verabschiedete eine mehr oder weniger verblüffte Familie.
    Mit diesem Vorgehen sollten endlose Diskussionen vermieden werden, mit denen die Intervention zerredet wird, die
durchaus auch auf den Überraschungseffekt setzt. Inzwischen haben sich die meisten Therapeuten allerdings von dem fluchtartigen Hinausstieben aus dem Zimmer gelöst, das in der Anfangsphase für die systemische Therapie charakteristisch war. Falls Familien widersprechen, wird der Therapeut heute kurz darauf eingehen: »Das ist für heute unser Eindruck. Falls Sie einen anderen Eindruck haben, können wir sehr gerne das nächste Mal eingehend darüber reden.«
    In einer abschließenden Nachsitzung besprach das Team, ob die

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