Familientherapie ohne Familie
Intervention bei der Familie »angekommen« war. Eventuell konnte das Team auch überlegen, wie die nächste Stunde verlaufen würde. Tatsächlich waren die Veränderungen dann aber auch für die Therapeuten selbst oft überraschend.
Während der gesamten Sitzung und besonders während der Intervention vermied der Therapeut jede negative Konnotation 11 der Beschwerden oder eine Äußerung, die wie eine Kritik an einem der Familienmitglieder aufgefasst werden hätte können. Kritik hatte im Rahmen des Modells keinen Platz, da dies weder therapeutisch sinnvoll erschien noch in ein systemisches Verständnis passte, in dem die augenblickliche Lösung als die zurzeit bestmögliche für die Familie wirkte.
Bei der positiven Umdeutung »Das Kind tut etwas für die Familie« wird deshalb auch die Freiwilligkeit einer solchen Entscheidung betont, um nicht den Eindruck aufkommen zu lassen, die Familie habe das Kind in diese Position gedrängt.
Wichtig ist bei der Verschreibung der Nicht-Veränderung auch die Einengung zurzeit. »Zurzeit (oder: in den nächsten Wochen) würden wir Ihnen nicht empfehlen, etwas zu ändern, da...« Damit wird stillschweigend impliziert, dass später durchaus Änderungen denkbar und wünschenswert sind. Zudem kann man die Lust an kreativen Veränderungen durch kaum etwas besser anregen als durch das Verbot, eine Änderung durchzuführen. In der Sexualtherapie wird dieses Phänomen schon lange bei der Impotenz genutzt: Der Therapeut
verbietet den Verkehr, erlaubt aber alle anderen Formen der Zärtlichkeit. Dabei ist absehbar, dass eines Tages das Verbot nicht mehr ertragen wird, womit das ursprüngliche Problem gelöst ist. (In vereinfachter Form kann der Leser einmal das Experiment machen, zwei Minuten lang nicht an einen himmelblauen Elefanten mit Melone auf dem Kopf zu denken...)
Neben der positiven Konnotation und verschiedenen Verschreibungen (zum Beispiel, nichts zu ändern) waren für das Mailänder Modell Rituale charakteristisch. Mit ihnen sollten Einstellungsänderungen erzielt werden. Dabei kam es weniger auf den pädagogischen Effekt an, das Problem sollte nicht durch die neue Verhaltensweise gelöst werden. (Also keine Ratschläge: »Seien Sie strenger« oder »Schlagen Sie Ihre Kinder seltener«.) Das Ziel war, mit einem rituellen Verhaltensmuster Einstellungen zu verändern.
Eines der bekanntesten Rituale ist das Ritual der geraden und ungeraden Tage. Häufig angewendet wurde dieses Vorgehen, wenn ein Kind in einer Familie Symptome zeigte und der Therapeut den Eindruck hatte, das Verhalten des Kindes hinge mit der chronischen Uneinigkeit der Eltern zusammen. In manchen Familien (zum Beispiel Familien mit anorektischen oder psychotischen Kindern) schien die feste Regel zu existieren, dass immer ein Elternteil dem anderen widersprach, wenn es um die Erziehung des Kindes ging.
Statt den Eltern zu sagen: »Sie dürfen sich nicht dauernd in Anwesenheit der Kinder widersprechen«, konnte der Therapeut sich zu einem Ritual entschließen, falls er den Eindruck hatte, die Eltern würden einen direkten Rat nicht annehmen, den sie schon oft gehört hatten.
»An den geraden Tagen der Woche: Dienstag, Donnerstag, Samstag, von morgen an beginnend bis zur nächsten Sitzung, soll in der Zeit zwischen... und... Uhr (jeweils wann die Familie zu Hause ist), was immer Moritz tut, ausschließlich der Vater dafür zuständig sein, darüber zu entscheiden, was mit Moritz zu geschehen hat. Die Mutter muss sich so verhalten,
als sei sie nicht anwesend. An den ungeraden Tagen: Montag, Mittwoch, Freitag, ist zur selben Uhrzeit ausschließlich die Mutter verantwortlich und hat zu entscheiden, was mit Moritz zu geschehen hat. Der Vater muss sich so verhalten, als sei er nicht anwesend. Am Sonntag darf sich jeder spontan verhalten. Jeder Elternteil soll an den ihm zugeteilten Tagen auf einem Zettel, mit Datum versehen, die eventuellen Verstöße des anderen gegen die Verschreibung, sich zu verhalten, als sei er nicht vorhanden, notieren.« 12
Solche Rituale sind äußerst wirkungsvoll, da für jeden der Beteiligten der Effekt ablesbar ist, ohne moralisierende Stellungnahme des Therapeuten. Für alle ist hinterher eine freie Entscheidung offen, ohne das Gesicht zu verlieren.
Die Interventionen waren im Mailänder Vorgehen der Teil, der am wenigsten präzisiert war. Mit Ausnahme der erwähnten, sehr bekannten Interventionen (zum Beispiel der invarianten Intervention) wurden sie meistens aus einer bestimmten
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