Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Familientherapie ohne Familie

Titel: Familientherapie ohne Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Weiss
Vom Netzwerk:
bewältigen?
    Sicherlich wird sich der Leser an dieser Stelle (oder schon früher) die Frage stellen: Kann man das wirklich so einfach machen? Probleme haben doch ihre Ursachen. Kann man die so einfach in ein paar Stunden beseitigen? Muss man nicht erst einmal zu den Ursachen kommen, um dann, wenn man die Ursachen erkannt hat, auch Lösungen anzupeilen? Ist es nicht unseriös, sich anzumaßen, in so kurzer Zeit Probleme zu beseitigen? Selbst wenn es gelingen sollte, kommen die Probleme – da nur oberflächlich berührt – nicht bald in anderer Gestalt wieder?
    Dies sind meines Erachtens sehr wichtige Fragen, wenn
man sich mit Kurzpsychotherapie beschäftigt. Ich will deshalb versuchen, schon einmal auf einen Teil der Fragen einzugehen, bevor ich die Theorie des BFTC im Einzelnen darstelle.
    Zuerst einmal zur Frage der Oberflächlichkeit: Es ist tatsächlich richtig, dass in der beschriebenen Kurzpsychotherapie nur Symptome oder zumindest erst einmal Symptome so genommen werden wie präsentiert, ohne »dahinter liegende« Konflikte zu beleuchten. Wenn man so will, ist dies oberflächlich. Die dahinter stehende Theorie besagt, dass viele Probleme nicht notwendigerweise tiefer gehende Gründe haben müssen. Das mag überraschen, ist doch fast allen Therapien gemeinsam, Gründe für Symptome anzunehmen, ob nun linear- oder zirkulärkausal, ob in der Vergangenheit oder in der Gegenwart.
    Die Gruppe in Milwaukee postulierte dagegen einfach »bad luck«, also soviel wie »Pech gehabt!« als die Ursache der Probleme, und sie befreite sich dadurch von bestimmten Vorannahmen, die ihr eigenes therapeutisches Vorgehen mit bestimmten Kausalverbindungen belastet hätten. Sicher ist »Pech« nicht die »eigentliche« Ursache der Übel der Welt im Individuellen wie Überindividuellen. Es sollte damit der Verzicht auf ätiologische Vorannahmen deutlich gemacht werden. Im Gegensatz zum Mailänder Modell wurden Symptome hier nicht als die denkbar beste Lösung unter gegebenen Verhältnissen gesehen, sondern nur als eine Lösung, die jedoch auch unter den gegebenen Verhältnissen keineswegs die einzig mögliche war. Krankheit konnte also nach dieser Ansicht eine Möglichkeit sein, Beziehungen zu stabilisieren, doch ging die Gruppe davon zu Beginn einer Behandlung nicht aus, sondern begann erst einmal ohne spezifische ätiologische Hypothesen.
    Zur Frage der fehlenden »Gründlichkeit«: In vier bis zehn Sitzungen wird man nicht das ganze Problem, geschweige denn das ganze Leben eines Patienten bearbeiten können. Das ist auch nicht das Ziel. Ziel ist der Versuch, mit dem Patienten
den Beginn des Lösungsweges zu finden. Dahinter steht ein Axiom der Kurzpsychotherapie nach dem Modell des BFTC: Die Lösung ist schon vorhanden, sie muss nur noch vom Patienten entdeckt werden. Die Aufgabe des Therapeuten ist demnach nicht die »Bearbeitung« eines Problems, sondern das gemeinsame Herausfinden eines möglichen Lösungsweges, den der Patient allein beschreiten kann.
    Das »wie von alleine« spielt dabei eine große Rolle. Sobald der erste Schritt gemacht ist, folgen nach Überzeugung des BFTC weitere von selbst. Jede Änderung zieht wieder eine andere nach sich, und die Tatsache der Veränderung bekommt ihre eigene Dynamik. Wie eine Schneeflocke eine Lawine auslösen kann, so soll die entscheidende minimale Intervention an der richtigen Stelle die – hoffentlich erwünschte – große Wirkung zeigen. Aus einer systemischen Sichtweise folgt also eine andere Einschätzung von kleinen Veränderungen. Jede Veränderung ist mit anderen Verhaltensmustern vernetzt und bedingt dadurch neues Verhalten. Das betrifft sowohl die interindividuelle als auch die individuelle Ebene. Die Chaostheorie mit dem »Schmetterlingseffekt« fiel im BFTC entsprechend auf fruchtbaren Boden.
    Um ein beliebtes Beispiel von Steve de Shazer zu erwähnen: Durch die Veränderung des Ortes kann sich bereits ein neues Muster der Interaktion ergeben. Einem dauernd streitenden Ehepaar wurde die Aufgabe gegeben, nur die Räumlichkeit für den permanenten Streit zu ändern. Statt, wie bisher üblich, in der Küche zu streiten, sollte das Ehepaar die Auseinandersetzung ins Schlafzimmer verlegen. Dabei wurde zur Auflage gemacht, zumindest ein Bein fest auf dem Boden zu lassen. Das nächste Streitgespräch führte zur Überraschung des Paares zu einem völlig neuen Ergebnis... Und das wiederum veränderte etwas in der Beziehung.
    Bevor ich zur Darstellung der therapeutischen

Weitere Kostenlose Bücher