Familientherapie ohne Familie
Vorgehen, da auch für verschiedenartige Probleme strukturmäßig ähnliche Lösungen existieren. Die Forschung des BFTC richtete sich in erster Linie auf das Aufdecken solcher Strukturen, die in einer Vielzahl von Fällen angewendet werden konnten. Dadurch sollte sich ein psychotherapeutisches Vorgehen strukturmäßig vereinfachen.
Um gleich einem Missverständnis vorzubeugen: Das heißt nicht, alle Probleme über einen Kamm zu scheren. Es soll hier von der Struktur von Lösungen gesprochen werden, nicht von der entsprechenden individuellen Form. Jeder Fall ist einzigartig – doch die Lösungen für Probleme haben einiges
gemeinsam. Ähnlich wie eine Landschaft einzigartig, das Stra ßennetz denkbar kompliziert ist, so reicht es doch, wenn ich mir die Nummern der Autobahnen notiere, um sicher von A nach B zu kommen. Über die individuelle Landschaft brauche ich für dieses Transportproblem nichts weiter zu wissen.
Zurück zur therapeutischen Praxis. Im Unterschied zum Mailänder Vorgehen erhoben die Therapeuten in Milwaukee vor der Stunde keine wesentlichen Daten über die Patienten oder die Probleme; also keine Daten über Telefon oder Fragebogen, lediglich die nötigen Sozialdaten Name, Adresse, Beruf und die überweisende Institution waren auf dem Anmeldeformular vermerkt. Der Grund dafür ergibt sich aus dem eben Gesagten. Es sollte der Verführung vorgebeugt werden, durch die Informationen über das Problem zu sehr in den Kategorien der Pathologie zu denken und dadurch von den möglichen Lösungen abgelenkt zu werden. Nach der Mailänder Theorie wurde das durchaus anders gesehen, da dort die Art der Begegnung und der Fragetechnik sehr viel mit der individuellen Form des Problems zu tun hatte. Hier jedoch sollten die zwangsläufigen Assoziationen, die sich auf bestimmte Probleme einstellen (»chronischer Alkoholismus«, »Depression«, »Scheidungsfamilie«), nach Möglichkeit vermieden werden. Die Aufmerksamkeit sollte von vornherein auf die Konstruktion von Lösungen gelenkt werden, die aus dem Problem herausführen.
Der Verlauf eines Erstinterviews war entsprechend geordnet. Es begann im Allgemeinen mit einer kurzen Erhebung von Sozialdaten, um sich einen ungefähren Eindruck über die soziale und familiäre Situation zu machen. Dieser kurze Anfangsteil leitete dann über zu einer allgemeinen Frage: »Was führt Sie denn hierher?« oder Ähnliches. Patienten berichteten dann meist über das Problem, das sie nicht alleine lösen konnten. Zum Beispiel eine Ehekrise, Zwangsgedanken, Schlafmittelmissbrauch oder Erziehungsschwierigkeiten. Von diesen Beschwerden machte sich der Therapeut einen ersten Eindruck, ohne sie in ihrer Psychogenese zu vertiefen oder psychodynamische Hypothesen zu verfolgen.
Es fällt jedem anders ausgebildeten Therapeuten ungeheuer schwer, so »oberflächlich« an ein schwieriges Problem heranzugehen, widerspricht es doch jedem therapeutischen Usus, die Geschichte des Problems, die Entstehungsbedingungen und sogar weitgehend die individuelle Geschichte des Patienten aus den Überlegungen auszuschließen. Tut man nicht dem Problem, dem Patient Gewalt an, wenn man so reduktionistisch verfährt? Im Modell des BFTC spielte die Ätiologie, die Vergangenheit, nur insofern eine Rolle, als die gewonnenen Informationen dazu dienten, eine Vorstellung vom Weltbild eines Menschen zu erhalten, seine Wertvorstellungen und Überzeugungen kennenzulernen. Im selben Rahmen waren auch bisherige Therapien interessant, die ein Patient schon gemacht hatte, unabhängig davon, ob sie erfolgreich oder erfolglos waren. Letztere würde man wohl nicht erneut vorschlagen. Das gesammelte Wissen sollte helfen, später ein Vorgehen wählen zu können, das der betroffenen Person entsprach, also zum Beispiel in der gleichen Sprache zu sprechen, die Werte des Patienten zu berücksichtigen oder die Ziele seines Lebens zu akzeptieren.
Nicht wichtig war in diesem Modell die ätiologische Erklärung. Das »Warum?« spielte erst einmal keine Rolle. Wie erwähnt, bezog man anfänglich die bewusst naive Position, es sei eben »bad luck!« – »Pech gehabt!«. Das hatte für das weitere Vorgehen einige Konsequenzen.
Die Therapeuten des BFTC ließen sich kaum, zumindest nicht vordergründig, auf die emotionalen Schwingungen der Patienten ein. Sie waren nicht bewusst empathisch oder mitfühlend. So wollte man der Gefahr der Gegenübertragung entgehen. Die bedrückt-hilflose Stimmung, die ein Patient mit einer depressiven
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