Familientherapie ohne Familie
findet man häufig unter psychosomatischen Patienten, die beispielsweise nicht vorhersagen können, wann ein Migräneanfall kommt. Bei dieser Gruppe führten die Therapeuten in der späteren Intervention ein weiteres Element des Zufälligen ein. Ein Patient wurde etwa gebeten, jeden Abend eine Vorhersage zu machen, ob das Symptom am kommenden Tag eintreten wird oder nicht. Je nach Patient konnte das zum Beispiel in Form einer Wette dargestellt werden, in der der Therapeut mit dem Patienten wettete, zu wie viel Prozent er richtige Vorhersagen machen kann. Solch ein – auf den ersten Blick – widersinniges Vorgehen, Dinge vorherzusagen, die scheinbar zufällig eintreten, hat die Implikation, dass sie doch beeinflussbar sind. Außerdem lenkt die abendliche Vorhersage das Denken auf ein neues Element. Nicht mehr die Vermeidung des Symptoms ist als Ziel markiert, sondern die richtige Vorhersage – unabhängig
davon, ob der folgende Tag gut oder schlecht ist. Gleichzeitig und endlich wird die Aufmerksamkeit für die Unterschiede geschärft, die zwischen den Tagen mit und denen ohne Symptom bestehen. Damit ist aber die Grundlage für die Beeinflussung gelegt.
3. Einige Patienten werden keine Ausnahmen berichten, dafür aber eine Antwort auf folgende Frage geben können: »Stellen Sie sich vor, Sie würden heute Abend einschlafen und in der Nacht würde sich – wie im Märchen – ein Wunder ereignen. Wenn Sie morgen früh aufwachen, sind die Probleme, derentwegen Sie hierhergekommen sind, verschwunden. Wenn Sie sich die Situation vorstellen, was ist dann anders?«
Die Patienten werden dann meist sagen, dann sei alles bestens, dann hätten sie keine Probleme mehr. Der Therapeut lässt sich dies aber genau beschreiben und erhält so ein detailliertes Bild von den individuellen Zielen der Psychotherapie. Er mag erfahren, wie dann das Leben zu Hause aussieht, wie das Leben bei der Arbeit gestaltet wird, wie die Beziehung zum Partner verändert ist und andere Wandlungen mehr. Manchmal kann man Patienten – besonders Kinder – auch auffordern, sich das wie im Film/Fernsehen vorzustellen und zu beschreiben.
Als therapeutische Konsequenz wird man nun untersuchen, welche der angedeuteten Wünsche sich am leichtesten für den Patienten realisieren lassen:
»Welche von den Veränderungen lassen sich wohl am leichtesten erreichen?«
»Wie können Sie das am ehesten machen?«
»Wie kann Sie Ihr Partner dabei unterstützen?« Usw.
Die Zielrichtung ist also bei diesem wie bei den zwei anderen Fällen ähnlich: Es werden mit den Ausnahmen gleichzeitig Ziele formuliert, die den Fokus auf die Lösungen des Problems von Beginn an legen.
4. Nun gibt es aber auch Patienten, die keine Ausnahmen angeben, sich keine Wunder vorstellen, noch den Schimmer
einer Hoffnung sehen können. Sie waren für das Team des BFTC eine Herausforderung, und sie unterschieden diese Gruppe in zwei Untergruppen: Patienten mit konkreten und solche mit diffusen Beschwerden.
Patienten mit konkreten Beschwerden wurden in einer Weise gefragt, die die Beschwerden weiter konkretisierte. Wenn also, wie oben erwähnt, jemand sagte, er sei den ganzen Tag unerträglich depressiv, dann wäre das Ziel, dies zu spezifizieren:
»Wann ist es am schlimmsten?«
»Ist es vor dem Frühstück genauso schlimm wie nach dem Frühstück?«
»Wann erleben Sie eine minimale Erleichterung?«
»In welchem Raum ist es am besten/schlimmsten?«
»Welche Menschen sind am angenehmsten/unangenehmsten?«
Auf diese Weise mag sich dann doch ein Bild entwickeln, in dem ein Unterschied deutlich wird, der sich dann in einer Verschreibung nützen lassen kann.
Um es nochmals zu wiederholen: Der Grund, so zu fragen, ist die Überzeugung, dass die Lösung eines Problems schon vorhanden ist und es in der Fülle der Verhaltensmöglichkeiten eines Patienten zahlreiche gibt, die aus der Sackgasse des Symptoms herausführen.
Die zweite Untergruppe sind die Patienten, die lediglich diffuse Beschwerden ohne Ausnahmen angeben können und nicht in der Lage sind, die Beschwerden näher zu charakterisieren: »Mir geht es irgendwie schlecht, ich fühle mich irgendwie, ich weiß auch nicht...«
Solche Patienten können einem Therapeuten einiges Kopfzerbrechen bereiten, wenn auch mein Eindruck ist, sie finden sich in den USA häufiger als hierzulande. Für sie entwickelte das BFTC ein standardisiertes Vorgehen, eine Intervention, die sie als »Formula First Session Task«, also als Standardaufgabe der
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