Fanal des Blutes
dem Untergeschoß zu, wo in den meisten Kliniken die Labors lagen. Sollte sie jemand ansprechen, konnte sie immer noch vorgeben, sich verlaufen zu haben.
Erfreulicherweise war der endlos lange Flur im Keller nur schwach beleuchtet. Das deutete darauf hin, daß hier selten Betrieb herrschte. Dennoch blieb Lilith wachsam, horchte und betrachtete jeden Türschlitz, ob ein verräterischer Lichtschein zu sehen war. Doch alles blieb ruhig.
Dann hatte sie die Tür zum ersten Labor auf der linken Seite erreicht, schob sich hinein und zog die Tür leise wieder hinter sich ins Schloß. Nur durch das Schlüsselloch drang ein dünner Lichtstrahl in den fensterlosen Raum, sonst war es stockfinster. Doch das bereitete Lilith keine Schwierigkeiten. Das Erbe ihrer vampirischen Mutter ermöglichte ihr, die spärliche Einrichtung deutlich wahrzunehmen, wenngleich alles wie in einen rötlichen Schimmer getaucht aussah.
Vor ihr in der Mitte des Raumes befand sich ein schäbiger alter Schreibtisch mit einem Drehstuhl davor. An den Wänden rundum reihten sich graulackierte Metallschränke, und unmittelbar hinter ihr .
... stand plötzlich wie aus dem Nichts gewachsen eine hochgewachsene Gestalt!
Eine Hand legte sich auf ihren Mund, und ein kräftiger Arm, der sich unnatürlich hart anfühlte, schlang sich um ihre Taille und drückte ihren linken Arm gegen den Leib, während der rechte von der freien Hand des Angreifers mit festem Griff gepackt wurde. Zugleich fühlte sich Lilith hochgerissen. Ihre Füße pendelten plötzlich eine halbe Handbreit über dem Boden.
»Sei still!« zischte eine dunkle Stimme. »Dann passiert dir nichts.«
Lilith war still - schon in ihrem eigenen Interesse -, doch sie dachte gar nicht daran, auch stillzuhalten.
Blitzschnell spannte sie ihre Beinmuskeln an und trat mit aller Kraft gegen die Schienbeine des Mannes. Der stöhnte auf; gleichzeitig lockerte sich der Griff der Hände. Im nächsten Augenblick hatte die Halbvampirin sich befreit, wirbelte herum und setzte den Angreifer mit einem gezielten Tritt in seine empfindlichste Stelle außer Gefecht. Stöhnend sank er zusammen.
Während er sich am Boden krümmte, knipste Lilith die Lampe auf dem Schreibtisch an und zog sich den Drehstuhl heran. Sie ließ sich darauf nieder und wartete, bis der unverhoffte Angreifer sich wieder halbwegs erholt hatte.
Daß er einen häßlichen, blaugrau gestreiften Morgenmantel über einem dunkelgrünen Pyjama und den linken Arm in Gips trug, hatte sie längst registriert. Daß es sich um einen harmlosen Patienten handelte, der sich verlaufen hatte, nahm sie jedoch keinen Moment lang an.
Er sah nicht einmal schlecht aus. Sein markantes Gesicht war braungebrannt und gutgeschnitten. Und wie er vorhin zugepackt hatte, das ließ auf einen kräftigen, durchtrainierten Körper schließen. Unwillkürlich fuhr Lilith sich mit der Zunge über die Lippen. Fast bedauerte sie, sein bestes Stück so malträtiert zu haben. Nach diesem herben Schlag sein Blut in Wallung zu bringen, würde fast unmöglich sein.
»Also, wer bist du und was tust du hier?« fragte sie.
Paul Perkinson war ein harter Bursche und hatte sich schon aus so mancher Klemme gerettet, in die ihn seine Nachforschungen gebracht hatten. Er scheute nicht Tod und nicht Teufel und war sonst durchaus in der Lage, Lügenmärchen als die reine Wahrheit zu verkaufen. Zumindest hatte er das bis jetzt gedacht.
Nun jedoch fühlte er sich von dem Blick dieser grünen Augen wie aufgesogen. Als würden seine Gehirnwindungen von einer unwiderstehlichen Macht einzeln aus seinem Kopf gezogen, spürte er plötzlich eine entsetzliche Leere darin.
»Paul Perkinson, Privatdetektiv«, hörte er sich selbst mit tonloser Stimme antworten. »Ich bin auf der Suche nach Beweisen.«
»Beweise wofür?«
»Handel mit Blutkonserven. Hier unten werden sie aufbewahrt.« Tief in seinem Innern spürte Paul den Wunsch, einfach den Kopf ab -zuwenden, um dem Blick der Schwarzhaarigen zu entgehen. Doch zugleich wußte er, daß es unmöglich war. Diese Augen würden ihn festhalten, so lange sie wollte.
Lilith horchte auf, als das Wort Blutkonserven fiel. Ob das in einem Zusammenhang mit den blutleeren Leichen stand?
»Erzähl mir davon«, verlangte sie.
»Janet Bruceman, meine Freundin, ist Oberärztin hier in der Klinik. Sie hat vor einiger Zeit entdeckt, daß an der Buchführung über die Blutkonserven manipuliert wurde. Es sind viel mehr angekauft worden, als in den Krankenhausunterlagen
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