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Fandorin

Fandorin

Titel: Fandorin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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werfen, das heißt, er deckt die oberste Karte auf und legt sie nach rechts, das ist die Stirn. Die nächste legt er links daneben, zu ihr sagt man Orakel.«
    Stirn – re., Orakel – li
., schrieb Fandorin gewissenhaft in sein Notizbüchlein.
    »Jetzt deckt der Pointeur seine Neun auf. Ist die Stirn zufällig auch eine Neun, gleich welcher Farbe, streicht der Banquier den Einsatz ein. Dazu sagt man: er sticht die Neun. Es bedeutet, die Bank, das heißt der Einsatz, um den gespielt wird, erhöht sich. Ist hingegen im Orakel eine Neun, dann gewinnt der Pointeur, er findet die Neun.«
    »Und wenn in beiden keine Neun ist?«
    »Wenn in beiden keine Neun ist, legt der Banquier das nächste Paar Karten aus. Und immer so weiter, bis eine Neun kommt. Das ist das ganze Spiel. Absolut simpel, aber man kann sich um Kopf und Kragen spielen, besonders wenn man als Pointeur den Einsatz ständig verdoppelt. Darum schreiben Sie sich hinter die Ohren, Fandorin: Wenn Sie spielen, dann nur als Banquier. Das ist einfach: Sie legen eine Karte nach rechts und eine nach links, wieder eine nach rechts und wieder eine nach links. Mehr als den ursprünglichen Einsatz kann der Banquier nicht verlieren. Seien Sie nie Pointeur, und falls doch, weil das Los Sie getroffen hat, dann halten Sie den Einsatz niedrig. Beim Stoß gibt es nie mehr als fünf Runden,danach geht der Rest der Bank an den Banquier. An der Kasse liegen zweihundert Rubel zum Verspielen für Sie bereit.«
    »So viel?« ächzte Fandorin.
    »Das ist nicht viel, sondern wenig, Sie werden sehen. Versuchen Sie, mit dieser Summe auszukommen. Sollten Sie schneller bankrott sein, müssen Sie auch nicht gleich gehen, sondern können sich noch eine Weile dort herumdrücken. Nur ja keinen Verdacht erregen, ist das klar? Und so werden Sie jeden Abend spielen, bis wir ein Ergebnis haben. Zu wissen, daß Surow nicht in den Fall verwickelt ist, wäre auch ein Ergebnis. Dann hätten wir einen Verdächtigen weniger.«
    Fandorin murmelte etwas vor sich hin, schielte auf seinen Spickzettel.
    »Herz, das sind die roten und nicht die schwarzen Herzen, ja?«
    »Ja. Manchmal sagt man auch einfach Rot oder auf gut französisch Cœur. Gehen Sie übrigens noch in der Kleiderkammer vorbei, Ihr Maßanzug ist schon fertig. Bis morgen mittag wird die Garderobe für alle Lebenslagen komplett sein. Marsch, Marsch, Fandorin, ich hab auch ohne Sie genug zu tun. Von Surow kommen Sie direkt wieder her. Egal, um welche Zeit. Ich übernachte heute hier im Amt.«
    Brilling steckte die Nase wieder in seine Papiere.

ACHTES KAPITEL,
    in welchem im unpassenden Moment ein Pique Bube auftaucht
    In dem verräucherten Salon wurde an sechs grünen Lombertischen gespielt – an manchen in Viererrunde, an anderen zu zweien. Um die Tische drängten sich Zuschauer: weniger an denen, wo mit geringem Einsatz gespielt wurde, als da, wo der Einsatz in die Höhe geschossen war. Speisen und Getränke wurden beim Grafen nicht gereicht, wer wollte, konnte nach nebenan ins Gästezimmer gehen und einen Lakaien ins Wirtshaus schicken, was aber höchstens geschah, um Champagner herbeizuschaffen, wenn einer besonderes Glück im Spiel hatte. Von allen Seiten tönten Rufe, die für einen Nicht-Spieler kaum begreiflich waren.
    »
Je coupe!
«
    »
Je passe.
«
    »Zweiter Abzug.«
    »
Retournez la carte!
«
    »Abgeworfen, meine Herren!«
    »Dame erstochen!« – und so weiter, und so fort.
    Den größten Auflauf gab es um einen Tisch, wo ein Spiel Mann gegen Mann im Gang war. Der Gastgeber persönlich hielt die Bank, als Pointeur agierte ein verschwitzter Herr im modisch auf Taille geschnittenen Rock. Ihm war das Glück sichtlich nicht hold: Er biß sich auf die Lippen, ereiferte sich, während der Graf die Kaltblütigkeit in Person war, süßlich unter seinem schwarzen Schnurrbärtchen hervorlächelte und am gebogenen türkischen Tschibuk saugte.Behende legten die kräftigen, gepflegten, mit blitzenden Ringen geschmückten Finger die Karten aus: eine nach rechts, eine nach links.
    Unter den Zuschauenden befand sich, dezent am Rande stehend, ein schwarzhaariger junger Mann mit geröteter, einem Spieler ansonsten kaum ähnlicher Physiognomie. Wer den Blick dafür hatte, sah, daß der Bursche aus gutem Hause stammte, sich zum ersten Mal an den Spieltisch verirrt hatte und noch sehr scheu war. Geschniegelte Herren mit Pomade in den Haaren hatten ihn schon ein paarmal locken wollen, »eine Karte zu riskieren«, waren jedoch enttäuscht worden:

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