Fandorin
zarten Physiognomie so gar nicht passen wollte, federgeschmücktem Tirolerhut und weiter Alpenpelerine. Der junge Mann schaute sich um, und da er nichts als eine stille, unauffällige kleine Straße zu sehen bekam, blieb sein aufgeregter Blick schnell an dem Hotelgebäude hängen: ein vierstöckiger, recht unansehnlicher Bau im georgianischen Stil, der sichtlich schon bessere Zeiten gekannt hatte.
Der junge Gentleman zögerte noch. Dann sprach er zu sich selbst auf russisch: »Ach, was soll’s.«
Nach dieser rätselhaften Formel lief er die Stufen hinauf und betrat das Vestibül.
Buchstäblich eine Sekunde später trat aus dem gegenüberliegenden Pub ein Mann im schwarzen Regenmantel und begann, die hohe Mütze mit dem glänzenden Schild tief in die Augen gezogen, vor der Hoteltür auf und ab zu spazieren.
Doch entging dieser bemerkenswerte Umstand der Aufmerksamkeit des Ankömmlings, da er bereits vor dem Tresen stand und das ausdruckslose Bildnis einer mittelalterlichen Dame mit prächtigem Jabot betrachtete – das mußte die »Winterkönigin« sein. Der dösende Portier begrüßte den Fremden mit Gleichmut; als er jedoch sah, daß der Boy, obwohl er nur den Reisesack hereingetragen hatte, einen ganzen Shilling erhielt, grüßte er noch einmal und sehr viel freundlicher, wobei er den Gast nun nicht mehr mit
Sir
, sondern mit
Your Honour
ansprach.
Der junge Herr wollte wissen, ob Zimmer frei seien, und verlangte das beste, das zu haben war, mit heißem Wasser und Zeitungen; dann trug er sich unter dem Namen Erasmus von Dorn, ansässig in Helsingfors, in das Gästebuch ein. Der Portier bekam für nichts und wieder nichts einen halben Sovereign und nannte den verrückten Ausländer von nun an
Your Lordship
.
Indes hatte »Herr von Dorn« mit ernsthaften Zweifeln zu kämpfen. Daß die stilvolle Amalia Kasimirowna in diesem drittklassigen Hotel abgestiegen sein sollte ließ sich schwer vorstellen. Hier stimmte offensichtlich etwas nicht.
In seiner Verlegenheit traute er sich gar, den vor ihm katzbuckelnden Portier zu fragen, ob es denn in London noch ein weiteres Hotel dieses Namens gebe, worauf ihm hochheilig versichert wurde, es gebe weder ein solches, noch habe es je eins gegeben, wenn man freilich von jenem »Winter Queen« absah, welches sich zuvor an diesem Ort befunden habe und vor mehr als hundert Jahren bis auf die Grundmauern abgebrannt sei.
Sollte denn alles umsonst gewesen sein: die zwölftägige Rundreise durch Europa, der angeklebte Schnauzbart, die edle Equipage, gemietet in Waterloo Station anstelle einer gewöhnlichen Droschke, und schließlich der verausgabte halbe Sovereign?
Na, das Bakschisch wirst du mir zumindest noch abdienen, mein Freund! dachte Fandorin (belassen wir es, seines Inkognitos ungeachtet, bei diesem Namen).
»Sagen Sie, Teuerster, Sie beherbergen nicht zufällig eine gewisse Miss Olsen?« fragte er mit gespielter Beiläufigkeit und stützte den Ellbogen lässig auf den Tresen.
Die Antwort, wiewohl durchaus zu erwarten gewesen, versetzte Fandorins Herzen einen Stich.
»Nein, Mylord, eine Lady dieses Namens wohnt bei uns nicht und hat nie hier gewohnt.«
Und da er die Bestürzung in den Augen des Gastes gewahrte, ließ der Portier noch eine kleine Kunstpause verstreichen, ehe er diskret verkündete: »Wobei mir der Name, den Durchlaucht zu erwähnen beliebten, nicht ganz unbekannt ist.«
Fandorin schwankte kurz, ehe er eine weitere Goldmünze aus der Rocktasche angelte.
»Reden Sie.«
Der Portier beugte sich nach vorn und hüllte Fandorin in eine Wolke von billigem Kölnischwasser, während er ihm zuflüsterte: »Wir belieben Post zu empfangen, die an den Namen dieser Person gerichtet ist. Allabendlich um zehn Uhr kommt ein Mr. Morbid, dem Anschein nach ein Diener oder Haushofmeister, und holt die Briefe ab.«
»So ein Riese mit großen blonden Koteletten, der den Eindruck macht, als hätte er noch kein einziges Mal im Leben gelacht?« kam Fandorins Frage wie aus der Pistole geschossen.
»Jawohl, Mylord, das ist er.«
»Treffen denn öfters Briefe ein?«
»Beinahe täglich, Mylord, und mitunter gleich mehrere. Heute zum Beispiel«, der Portier sah vielsagend zu einem Schrank mit vielen Fächern hinüber, »kamen ganze drei.«
Die Andeutung wurde verstanden.
»Ich würde gern einen Blick auf die Umschläge werfen – nur so, aus reiner Neugier«, bemerkte Fandorin und klopfte mit dem nächstfälligen halben Sovereign auf den Tresen.
Die Augen des Portiers
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