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Fandorin

Fandorin

Titel: Fandorin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Erscheinung stand auf der Schwelle: ein kleiner, schmächtiger Mann unbestimmbaren Alters mit rundem, glattrasiertem Gesicht und schmalen, von Strahlenkränzen winziger Falten umgebenen Augen.
    Fandorin zuckte, riß die Deringer vom Tisch, da gurrte die Erscheinung mit ausgesprochen angenehmer, warmer Tenorstimme, freundlichem Lächeln und beifälligem Kopfnicken: »Hier bin ich schon, mein liebes Kind. Porfirius Martynowitsch aus dem Geschlecht der Pyshows, Sklave seines Herrn und Gouvernementssekretär. Auf den geringsten Wink zur Stelle. Wie der Wind auf Äolus’ Geheiß.«
    »Wie haben Sie die Tür aufbekommen?« zischte Fandorin erschrocken. »Ich weiß genau, daß ich den Schlüssel zweimal herumgedreht habe!«
    »Dafür haben wir einen magnetischen Dietrich«, gab derersehnte Gast bereitwillig Auskunft und wies einen länglichen Vierkant vor, den er jedoch im nächsten Augenblick wieder in der Tasche verschwinden ließ. »Ein gar nützliches Ding. Hab ich einem hiesigen Langfinger abgeluchst. Bedauerlicherweise nötigt uns unser Handwerk, gräßliche Subjekte zu kontaktieren, den Bodensatz der Gesellschaft sozusagen.
Les véritables misérables
, das kann ich Ihnen sagen. Typen, wie Monsieur Hugo sie im Traum nicht gesehen hat. Nichtsdestoweniger handelt es sich um Menschenwesen, zu ihrer Seele sind Schleichwege offen. Gewissermaßen liebe ich sie sogar, diese Ausgeburten, und verleibe sie zu Teilen meiner Sammlung ein. Wie schon der Dichter sagte: Ein jeder lebt auf seine Weise, der Tod düpiert sie alle gleich. Oder mit alemannischer Zunge: Jedes Tierchen hat sein Pläsierchen.«
    Allem Anschein nach war das sonderbare Männlein darin begabt, mühelos und ohne Pause über jedes beliebige Thema zu schwadronieren, während seine flinken Äuglein keine Zeit verloren: Im Nu hatten sie Fandorin und ebenso die spärliche Einrichtung seiner Kammer einer gründlichen Inspektion unterzogen.
    »Ich bin Erast Petrowitsch Fandorin, im Auftrag von Iwan Brilling unterwegs. In äußerst dringender Angelegenheit!« sagte der junge Mann, was vollkommen überflüssig war, da ersteres in der Depesche gestanden hatte und letzteres sich denken ließ. »Leider bekam ich kein Kennwort übermittelt. Herr Brilling muß es vergessen haben.«
    Flehend sah Fandorin Pyshow an, von ihm hing jetzt seine Rettung ab – der aber schlug nur die kleinen Hände zusammen: »Was soll mir denn ein Kennwort. Schnickschnack, Kinderkram. Fehlte noch, daß ein Russe einen Russen nicht erkennt. Ich für meinen Teil muß nur in Ihre blanken Augenschauen« – bei diesen Worten rückte Pyshow dicht an ihn heran – »und sehe alles, was ich wissen muß: Ein Jüngling, rein und kühn, mit edlen Ambitionen, ein Patriot seines Vaterlands. Andere würden auch gar nicht genommen, hab ich recht?«
    Fandorin runzelte die Stirn. Ihm schien, als machte der Gouvernementssekretär sich lustig über ihn, nähme ihn womöglich nicht für voll. Darum trug er das, was es zu sagen gab, knapp und in nüchternem Ton vor, bar jeder Emotionen. Hier zeigte sich, daß Pyshow nicht nur zum Salbadern, sondern auch zum Zuhören sichtlich Talent hatte: Er ließ sich auf der Bettkante nieder, faltete die kleinen Hände über dem Bauch, verengte die Schlitze seiner Augen noch mehr und erstarb in dieser Haltung – mit anderen Worten, er wurde ganz Ohr. Kein einziges Mal unterbrach er den Sprechenden, gab keinen Laut von sich. Nur manchmal, an den Schlüsselstellen des Berichtes, schienen Funken unter den geschlossenen Wimpern hervorzusprühen.
    Seine Hypothese bezüglich der Briefe unterschlug Fandorin – die hob er sich für Brilling auf. Zuletzt sagte er: »Sie sehen, vor Ihnen steht ein Mörder wider Willen und auf der Flucht. Ich muß schleunigst auf das Festland hinüber, nach Moskau. Iwan Brilling erwartet mich.«
    Pyshow schürzte die Lippen, lauerte, ob noch etwas kam, bevor er leise fragte: »Und was ist mit dem Portefeuillchen? Wollen wir es mit der Diplomatenpost expedieren? So wäre es gewiß am vernünftigsten. Der Teufel will es, und Sie werden gefaßt … Diese Herren scheinen keinen Spaß zu verstehen, bestimmt werden Sie auch in Europa gesucht. Was den Kanal betrifft, mein Engel, da bringe ich Sie natürlich heil und sicher hinüber, das ist ein Kinderspiel. Sofern Sie ein schäbiges Fischerboot nicht verschmähen, können Sie mitGottes Hilfe schon morgen hinübergondeln. Im Segel der Windsbraut.«
    Was will er nur immer mit seinem Wind? dachte Fandorin gereizt;

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