Fang schon mal ohne mich an - Phillips, C: Fang schon mal ohne mich an
beherrschten Vater nichts anhaben. Sie bewunderte seine Stärke. Sein grau meliertes Haar und die ausgeblichene Uniformhose passten sehr gut zum orangefarbenen Sweatshirt. Trotzdem – er gehörte nicht hierher, und sie würde es beweisen.
„Wie geht es dir?“ Da man ihr zu verstehen gegeben hatte, dass körperlicher Kontakt nicht erwünscht war, legte sie ihre ineinander verschränkten Hände vor sich auf den Tisch.
„Es geht mir wirklich gut. Und dir?“
„Mir auch.“ Sie presste ihre Finger gegeneinander.
„Und der Rest der Familie? Wie gehen sie mit der Situation um?“
Molly lächelte. „Ich hatte eine Menge Überzeugungsarbeit zu leisten, aber Robin ist diese Woche wieder in der Universität, und der Kommandeur erzählt jedem, der es hören will, dass man dich vorübergehend ausrangiert hat.“
Ihr Vater lachte. „Und Jessie?“
„Ich glaube, sie trifft es am härtesten.“ Molly seufzte mitfühlend trotz des eisigen Verhältnisses, das zwischen den beiden Halbschwestern herrschte. „Normalerweise würde sie zu Seth gehen“, sagte Molly, die wusste, dass der Nach barjunge Seth Jessies bester Freund war.
Seths Vater war Paul Markham, der Mann, den Frank angeblich ermordet haben sollte. Frank und Paul waren zusammen in der Armee gewesen. Nach ihrer ehrenvollen Entlassung aus der Armee waren sie Geschäftspartner geworden und betrieben gemeinsam ein Immobilienunternehmen. Ihre Familien standen sich sehr nah. Seth lebte mit seinem Vater und seiner Mutter Sonya gleich nebenan.
„Seth muss mit dem Tod seines Vaters klarkommen, und ich glaube, Jessie fühlt sich momentan sehr einsam. Aber sie beklagt sich nicht darüber, und zu mir kommt sie sowieso nicht“, sagte Molly.
„Das hätte einfach niemals passieren dürfen.“ Ihr Vater bewahrte wie gewöhnlich seine Haltung, aber sein Körper war ganz angespannt vor Enttäuschung.
Molly griff instinktiv nach seiner Hand, doch der Wächter, den sie schon die ganze Zeit zu ignorieren versuchte, räusperte sich warnend. Sie warf ihrem Vater einen bedauernden Blick zu und zog ihre Hand zurück.
„Wir werden das alles regeln“, versprach sie ihm. Leider wusste sie nur noch nicht, wie. Hunter erwähnte sie lieber nicht, weil sie ihrem Vater keine Hoffnung machen wollte, die später enttäuscht würde. Immerhin standen die Chancen, dass dieser Anwalt ihnen helfen würde, mehr als schlecht.
„Kannst du schlafen?“, fragte sie ihn stattdessen und beugte sich zu ihm über den Tisch, um seine blutunterlaufenen Augen und die Falten auf seiner Stirn genauer zu betrachten.
Er nickte. „Ich bin in der Armee darauf trainiert worden, überall schlafen zu können. Es geht mir gut“, wiederholte er.
Sie glaubte ihm, und sie glaubte ihm auch wieder nicht. Er hätte allen Grund dazu gehabt, sich schreckliche Sorgen um sein Schicksal zu machen.
„Ich vermisse euch so. Selbst diesen verdammten, vorlauten Vogel. Ich möchte nicht, dass du dich verrückt machst, weil du glaubst, alles alleine regeln zu müssen, oder dass Robin die Uni vernachlässigt. Und was Jessie anbelangt …“ Seine Stimme brach. Es gab nichts mehr zu sagen.
Molly schluckte. „Ich wünschte, ich hätte mich auf Strafrecht spezialisiert, dann könnte ich viel mehr für dich tun.“ Sie hasste es, sich unnütz zu fühlen, und ihr Magen verkrampfte sich seit Franks Verhaftung ständig.
„Du weißt, dass ich nicht hätte geschockter sein können, als du zum ersten Mal hier aufgetaucht bist. Als deine Mutter schwanger wurde, war ich noch sehr jung. Ich wollte bei der Armee Karriere machen. Wie mein Vater. Sie sagte, dass sie das Baby zur Adoption geben wolle, und weil ich dachte, es sei wirklich besser so, habe ich die Papiere unterschrieben. Ich dachte, sie würde tun, was sie gesagt hatte, und du würdest ein glückliches Leben haben.“ Er schaute missmutig drein, wie immer, wenn es um die Lügen ihrer Mutter ging.
„Lass uns nicht wieder davon anfangen. Es hilft ja nichts und verdirbt uns nur die Laune.“ Keinem von ihnen gefiel es, über die Zeit zu sprechen, die sie als Vater und Tochter versäumt hatten.
„Lass mich bitte. Ich hatte die letzten Tage so viel Zeit zum Nachdenken.“ Er grinste, und in seinen Augen erkannte Molly einen Ausdruck, den sie schon häufig in den Augen ihrer Großmutter gesehen hatte – wenn diese in Kommandierlaune war.
„Okay, erzähl weiter“, meinte sie nachsichtig.
„Das, was ich gerade gesagt habe, bedeutet natürlich nicht, dass ich niemals
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