Fangjagd
hier allein wohnte. Zuletzt betraten sie einen spärlich möblierten, fast quadratischen Raum, dessen eine Wand von einem großen Sprossenfenster mit lange nicht mehr geputzten Scheiben eingenommen wurde. Über dem Fenster war ein altes, an vielen Stellen eingerissenes Rouleau angebracht.
„Setzen Sie sich, damit wir miteinander reden können“, forderte Schaub den Engländer auf. „Bier?“
„Nein, vielen Dank“, antwortete Newman, der das schmutzige Glas auf dem Tisch gesehen hatte.
Erst als er ans Fenster trat und auf den schrägen kleinen Garten hinausblickte, wurde ihm klar, daß er sich in einem der alten Häuser befand, auf die er gemeinsam mit Nancy bei ihrem Spaziergang zur Nydeggbrücke hinabgesehen hatte. Als Newman sich umdrehte, saß Schaub an dem Tisch in der Zimmermitte und trank gluckernd aus seiner Bierflasche.
Newman faßte zu und zog das Rouleau so weit herab, daß das obere Fensterdrittel verdeckt war.
„He, was soll das?“ fragte Schaub aufgebracht. „Paßt Ihnen die Aussicht nicht?“
„Wir sitzen hier auf dem Präsentierteller.“
Newman holte einen zusammengefalteten 500-Franken-Schein aus der Jackentasche und warf ihn auf den Tisch. „Den können Sie sich damit verdienen, daß Sie mir ein paar Fragen über die Klinik Bern beantworten. Sie arbeiten seit vielen Jahren dort.
Sie müssen praktisch alles wissen, was in der Klinik vorgeht.“
„Novak hat gesagt, Sie würden mehr zahlen…“
Newman legte einen weiteren Fünfhunderter daneben und nahm so am Tisch Platz, daß er das Fenster im Auge behalten konnte. Der Hausmeister trug ausgebeulte Cordsamthosen, ein offenes kariertes Hemd und seit Tagen nicht mehr geputzte Schuhe. Er schüttelte den Kopf.
„Das reicht noch nicht…“
„Mein letztes Angebot! Mehr gibt’s auf keinen Fall!“ Newman legte einen dritten halben Tausender neben die beiden anderen.
„Fangen wir damit an, was im Labor vor sich geht…“
„Ich will aber mehr!“
„Gut, dann kriegen Sie gar nichts!“ Newman griff langsam nach den Geldscheinen, aber Schaub war schneller, raffte sie zusammen und steckte sie hastig ein.
„Los, los, beantworten Sie meine Frage!“
„Im Labor bin ich nie gewesen…“
Die Kugel kam durchs Fenster und ließ die Bierflasche, die Schaub wieder auf den Tisch gestellt hatte, in tausend Stücke zerspringen. Newmans linke Hand schoß nach vorn, stieß den Dicken von seinem Stuhl und ließ ihn auf den unebenen Bretterfußboden poltern.
„Bleib unten, du fettes Schwein, sonst erschießen sie dich!“
brüllte er ihn an.
Während Newman diese Warnung brüllte, ließ er sich zu Boden fallen. Sein Schrei wurde durch den zweiten Schuß unterstrichen, die Kugel durchschlug eine weitere Fensterscheibe und blieb in der Wand neben der Tür stecken.
Newman wußte später nicht mehr, wie die Pistole in seine rechte Hand gekommen war, aber er nahm wahr, daß er sie schußbereit umklammerte, während er in geduckter Haltung zum Fenster schlich – gerade noch rechtzeitig, um eine Gewehrmündung über den Wall an der zur Brücke führenden Straße verschwinden zu sehen.“
Stellen Sie sich hinter den Schrank! Bleiben Sie gefälligst dort!
Ich bin gleich wieder da…“
Newman, der seine Pistole wieder weggesteckt hatte, hastete die verdammte Treppe hinunter, riß die Haustür auf und stürzte auf die Gerberngasse hinaus. Er rannte die menschenleere Straße entlang, bis er die zur Brücke hinaufführende überdachte Treppe erreichte. Die ausgetretenen alten Stufen schienen kein Ende nehmen zu wollen. Aber schließlich lagen sie doch hinter ihm, und er stand auf der Straße.
Er blickte sich nach allen Seiten um. Nichts. Niemand, nicht einmal ein Fußgänger. Newman ging einige Schritte in Richtung Innenstadt, bückte sich und hob eine ausgeworfene Patronenhülse vom Gehsteig auf. Die zweite war nirgends zu finden. Der Killer mußte sie mitgenommen haben.
Als Newman sich an der Stelle, wo er die Patronenhülse gefunden hatte, über den Wall beugte, starrte er direkt in Willy Schaubs Wohnzimmer. Hätte er das Rouleau nicht heruntergezogen, wäre der Hausmeister jetzt tot. Er blickte nochmals in Richtung Innenstadt und sah vor einem Laden einen Mann stehen, der ihn beobachtete.
„Ich dachte, ich hätte hier was gehört“, meinte Newman auf Deutsch und blieb vor dem beleibten Ladenbesitzer stehen. „Ja, es hat wie ein Schuß geklungen, wie zwei Schüsse…“
„Oder wie Fehlzündungen“, meinte Newman lächelnd. „Ich
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