Fangjagd
„Soviel Selbstbeherrschung bringt kein normaler Mensch auf! Das ist einfach
nicht normal,
sage ich dir…“
Newman nickte zustimmend. In diesem Augenblick begann er erstmals, an Professor Granges Geisteszustand zu zweifeln.
33
Jesse Kennedy schlug die Augen auf und blinzelte heftig. Was ging mit ihm vor, verdammt noch mal? Er lag ausgestreckt auf einer fahrbaren Liege, die irgendwohin gerollt wurde. Jesse konnte nicht richtig sehen, weil irgendeine Maske seinen Kopf und sein Gesicht bedeckte. Durch verglaste Augenöffnungen starrte er das weiße Leinentuch an, das jemand über die Maske gezogen hatte. Der Wagen rollte jetzt leicht bergab.
Als er versuchte, die Arme zu bewegen, merkte er, daß sie an den Handgelenken festgeschnallt waren. Dann wollte er die Beine bewegen und spürte, daß auch sie an den Knöcheln angebunden waren. So war er zu völliger Unbeweglichkeit verurteilt. Was wurde hier gespielt? Was ging mit ihm vor?
Jesse erinnerte sich jetzt an die letzten Eindrücke, bevor er eingeschlafen war. Sie hatten ihm ein Schlafmittel injiziert.
Nicht Novak, sondern diese Hexe Astrid hatte ihm eine Spritze gegeben. Er unterdrückte die in ihm aufsteigende Panik, die beginnende Platzangst, und begann Fingerübungen zu machen, um seine Hände wieder zu kräftigen. Dann bewegte er auch die Füße – aber ganz vorsichtig. Jesse ahnte instinktiv, daß die Krankenpfleger, die den Wagen eine schräge Ebene hinunterrollen ließen, nicht wissen durften, daß er sich auf einen Fluchtversuch vorbereitete.
Das Surren einer sich elektrisch schließenden Tür. Das Gefälle schien zuzunehmen. Jesse blinzelte erneut. Er konnte das Leinentuch kaum noch erkennen, weil die Gläser beschlugen.
Inzwischen war er wieder hellwach und nahm weitere Empfindungen und Geräusche wahr. Das leise Quietschen der Gummiräder des Wagens, die Trockenheit in seinem Hals, das Kribbeln in seinen Händen und Füßen, als der Kreislauf wieder in Schwung kam. Wieder öffnete sich surrend eine Tür, dann ging die Fahrt zu ebener Erde weiter. Merkwürdige, tierisch klingende Laute – war er etwa dabei, überzuschnappen? Jesse schloß die Augen, als die Liege zum Stehen kam.
Das Leinentuch wurde weggerissen. Jesse erwartete, Stimmen zu hören – die Stimmen der Krankenpfleger. Warum redeten sie nicht miteinander? Das Fehlen von Stimmen ging ihm auf die Nerven; es war ebenso erschreckend wie die fortwährend auf ihn eindringenden tierischen Laute, die Jesse an Affen im Zoo erinnerten. Ein lächerlicher Vergleich…
Jetzt schnallten sie ihn los. Ein Mann am Kopfende des Wagens löste die Lederriemen, mit denen Jesses Handgelenke gefesselt gewesen waren, der andere befreite seine Knöchel.
Nun hätte er sich wieder bewegen können. Aber Jesse blieb unbeweglich und mit geschlossenen Augen liegen. Hände umfaßten seine Oberarme und rissen ihn hoch. In sitzender Position wurde er herumgedreht, bis seine Beine über den Rand des Wagens hingen. Jesse ließ den Kopf hängen und hielt die Augen noch immer geschlossen. Die Hände schoben ihn vom Wagen und hielten ihn aufrecht. Sie schüttelten ihn grob. Jesse öffnete die Augen und holte erschrocken tief Luft.
Er trug einen dicken Frotteebademantel mit fest verknotetem Gürtel über seinem Schlafanzug. Offenbar befand er sich im Labor, davon war er überzeugt. Hier war es merklich kühler.
Jesse konnte nun wieder durch die zuvor beschlagenen Gläser sehen, hohe, schmale Fenster mit grünen Plastikvorhängen. An den Wänden Käfige in verschiedenen Größen, in denen die Tiere saßen, die er gehört hatte. Das Ganze war ein Alptraum.
Die beiden Krankenpfleger trugen Gasmasken. Seelenlose Augen starrten ihn an. Ihrer Größe und ihrem Körperbau nach vermutete er, daß es sich um die beiden Männer handelte, die er als Graf und Munz kannte. Ein dritter Mann, der ebenfalls eine Gasmaske trug, ging im Hintergrund zwischen den Tierkäfigen auf und ab. Jesse nahm an, daß es sich um Dr. Bruno Kobler handelte. Der Amerikaner gab vor, nur unsicher schwankend stehen zu können, als Munz und Graf ihn einen Augenblick losließen.
In den Käfigen wurden alle möglichen Tiere gehalten: Mäuse, Ratten, Meerschweinchen, Katzen, Hunde und vor allem einige Schimpansen, die unaufhörlich mit gefletschten Zähnen keckerten. Durch die verglasten Augenöffnungen von Jesses Maske wirkte dieses Zähnefletschen wie ein gräßliches Lachen.
Die wenigen Neonröhren an der Decke tauchten die Schreckensszene in
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