Fangjagd
Howard starrte ihn an, während Tweed, der gar nicht auf seinen Chef achtete, eine Akte in eine Schreibtischschublade legte und abschloß.
„Ich habe eben die schreckliche Nachricht erhalten“, sagte Howard ernst. „Wollen Sie wegfahren?“
„Natürlich, nach Bern“.
„Wegen Mason? Aber in dem Fernschreiben unserer Botschaft ist doch von einem Unfall die Rede…“
„Unfall, daß ich nicht lache!“ Tweed gab sich keine Mühe, die Verachtung, die er Howard gegenüber empfand, zu verbergen.
„Ich habe mit Wylie telefoniert: Mason macht einen Abendspaziergang und fällt dabei in den Fluss. Halten Sie das für wahrscheinlich? Denken Sie an sein Alter, seine bisherigen Leistungen. Nein, Mason ist ermordet worden, und ich kriege raus, wer ihn auf dem Gewissen hat“!
„Wäre das nicht Aufgabe der Schweizer Polizei?“
Howard wischte ein imaginäres Stäubchen von seinem Ärmel, zog die Manschetten heraus, machte einen kleinen Rundgang durch das Büro und warf einen neugierigen Blick auf die Papiere auf Tweeds Schreibtisch. Tweed saß in seinem Drehsessel und rückte seine Brille zurecht. Er schwieg hartnäckig und wartete darauf, daß Howard verschwand.
„Der Schweizer Polizei?“ wiederholte Howard leicht gereizt.
„Haben Sie vergessen, was Mason aus Wien mitgebracht hat?
Ich nehme an, daß Sie den Bericht des Verteidigungsministeriums über das Objekt gelesen haben. Ich finde die sich daraus ergebenden Folgerungen ziemlich beängstigend. Und ich glaube, daß sie Mason deshalb umgebracht haben.“
„Wer sind ‚sie‘?“ erkundigte Howard sich mit der für ihn charakteristischen Pedanterie.
„Keine Ahnung“, gab Tweed offen zu.
„Sie reisen allein? Ohne zweiten Mann als Rückendeckung?“
„Wie ich Ihnen schon erklärt habe, müsste ich eine zusätzliche Kraft engagieren – unsere eigenen Leute sind überlastet, solange Martel nicht da ist. Ich lasse seit einiger Zeit jemand in der Schweiz für uns arbeiten.“
„Wen?“ erkundigte Howard sich sofort. „Die Sicherheit – das Überleben – dieses Agenten hängt davon ab, daß seine Identität streng geheim bleibt. Die betreffende Person kennt sich in der Schweiz ausgezeichnet aus.“
„Sie wollen mir also nicht einmal verraten, ob es sich um einen Agenten oder eine Agentin handelt?“ fragte Howard missmutig.
Tweed äußerte sich nicht dazu. Er nahm seine Brille ab und polierte die Gläser mit seinem Taschentuch, bis Monica ihm ein Papiertuch gab. Howard starrte Monica an.
„Weiß sie’s denn?“ knurrte er.
„Selbstverständlich nicht. Sie können alles unbesorgt mir überlassen“.
„Was bleibt mir anderes übrig? Wann reisen Sie ab?“
„Heute Abend…“ Tweed sah ein, daß er Howard etwas unfreundlich behandelt hatte. „Ich fliege um neunzehn Uhr nach Genf. Die Maschine landet um einundzwanzig Uhr dreißig Ortszeit. Um diese Zeit sind etwaige Beobachter auf dem Flughafen schon weniger aufmerksam.“
„Sie nehmen wahrscheinlich Verbindung mit Beck auf?“
„Ich weiß offen gestanden überhaupt noch nicht, was ich dort tun werde.“
Howard gab entmutigt auf. Er stapfte zur Tür und blieb mit einer Hand auf der Klinke stehen. Falls Mason tatsächlich ermordet worden war, war dieser Einsatz nicht ganz ungefährlich für Tweed. Falls ihm etwas zustieß, würde er es bedauern, im Zorn von ihm geschieden zu sein.
„Dann wünsche ich Ihnen wohl am besten viel Glück…“
„Vielen Dank“, antwortete Tweed höflich. „Davon kann ich bestimmt jede Menge brauchen…“
Im ersten Stock der Klinik Bern legte Dr. Bruno Kobler eben das letzte Krankenblatt beiseite, als die Tür seines Büros geöffnet wurde. Eine massive Gestalt betrat den trotz des trüben Wetters nur durch die Schreibtischlampe erhellten Raum. Kobler stand sofort auf.
„Für heute Nacht ist alles bereit“, erklärte er dem Besucher.
„Wir haben’s schon beinahe geschafft“, stellte der Riese mit der getönten Brille mit sanfter, beruhigender Stimme fest. „Noch ein Versuch heute Nacht, dann sind wir unserer Sache endgültig sicher. Irgendwelche Probleme?“
„Vielleicht sogar mehrere. Zum Beispiel Newman…“
„Um Außenstehende können wir uns kümmern, sobald der Ärztekongreß und der Empfang im Bellevue Palace hinter uns liegen“, bemerkte der große Mann, als spreche er lediglich von einer verwaltungstechnischen Kleinigkeit.
Sein massiger Körper schien den Raum auszufüllen. Er hatte ein breites Gesicht mit großer, fleischiger
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