Fangschuss
Wochenenden verbrachte. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass sie sich zum ersten Mal in einer sehr langen Zeit überhaupt für ihn interessierte. Wenn der Mann tatsächlich eine Affäre hatte, war das sein Glück. Seine Frau würde ihn plötzlich mit ganz anderen Augen sehen. Das Problem war nur, dass der Mann auf dem Foto so gar nicht danach aussah, als würde er Affären haben. Ich beschloss, erst einmal diese Bank Canis aufzusuchen, die sich im Quartier Enge befand. Ich hatte noch nie von diesem Finanzinstitut gehört, aber schließlich gehörte ich auch nicht zur Einkommensklasse, die von Privatbanken heftig umworben wurde.
Ich fuhr übers Bellevue und dann am See entlang, der mauergrau vor sich hin dümpelte. An den Ufern waberten Nebelfetzen und die Bergspitzen steckten in dichten Wolkenknäueln. Menschen mit griesgrämigen Gesichtern standen an den Tramhaltestellen, alles war düster, dumpf und prinzipiell unerfreulich. Es war ein Tag, an dem man sich einer ausgewachsenen Herbstdepression hätte hingeben können, wenn man denn die Zeit dazu gehabt hätte.
Ich parkierte etwas entfernt von der Bank. Ein hellblauer Käfer wäre in einer Gegend voller Finanzinstitute und Anwaltskanzleien, die hier in einträglicher Symbiose mit Psychotherapie- und Arztpraxen wucherten, garantiert aufgefallen. Und auffallen war das Letzte, was ich wollte.
Ich schloss den Reißverschluss meiner Jacke, klappte den Kragen hoch und ging so gegen den Regen gewappnet auf das auffällige Eckhaus zu, das sich durch seine mit Fresken kunstvoll verzierte Fassade deutlich von den umliegenden Gebäuden abhob. Mit einem etwas mulmigen Gefühl musterte ich die steinernen Hundeköpfe, die zähnefletschend und drohend aus der Hausmauer ragten, als wollten sie sich gleich auf mich stürzen. Das Messingschild neben der Eingangstür mit dem symbolisch dargestellten Hund als Emblem wies darauf hin, dass die Bank Canis im ersten Stock residierte. Ich trat etwas zurück und guckte zu den Erkerfenstern hoch, doch alles, was ich erkennen konnte, waren hohe Räume mit kunstvollen Stuckaturen an der Decke. Eine Frau mittleren Alters, die eine Hochsteckfrisur trug, schritt eilig mit einem Stapel Akten auf dem Arm am Fenster vorbei. Ich überzeugte mich, dass es keinen Hinterausgang oder gar eine unterirdische Garage gab, und stellte mich dann unter ein Vordach auf der gegenüberliegenden Straßenseite, wo ich abzuwarten gedachte. Es war kurz nach zehn und ich wurde langsam nüchtern. Das hieß, in meinem Kopf begann es, unangenehm zu pochen, und ich bekam Lust auf einen Drink. Doch das konnte ich mir nicht erlauben, derartige Überwachungen konnten sich hinziehen, und ich musste äußerste Wachsamkeit walten lassen, damit ich den Moment nicht verpasste, in dem Herr Stadelmann das Gebäude verließ. Ich lief ein wenig hin und her, ohne den Eingang aus den Augen zu lassen. Noch würde ein zufälliger Beobachter meinen, ich würde auf eine Verabredung warten, doch ich wusste, dass ich nicht allzu lange so weitermachen konnte. Schon hatte ich das Gefühl, als bewegten sich hier und da Vorhänge in den oberen Stockwerken, wo sich meist Privatwohnungen befanden, aber das konnten auch meine angespannten Nerven sein, die mir einen Streich spielten. Ich entnahm dem Zeitungskasten bei der Tramhaltestation ein Gratisblatt und blätterte es flüchtig durch, hinten beginnend, wie ich das oft tat, während ich zum Bankgebäude zurückschlenderte. Die Letten-Leiche wurde nur ganz kurz auf Seite vierzehn erwähnt. Offensichtlich hatte man ihre Identität immer noch nicht herausgefunden, die Polizei bat weiterhin um Hinweise. Ich dachte an Philipp und hoffte inständig, dass er noch lebte. Ich schlug ein paar Seiten mit Klatsch und Tratsch um und überflog eine Fotoreihe, die ein paar Jugendliche, darunter Crazy Sandy aus Bülach und Ghettobrothas Hanspi und Kusi beim Fun haben an der angeblich coolsten Party des Jahres zeigte. Sie guckten alle so verkrampft, als litten sie an Durchfall. Zu meiner Zeit jedenfalls hatte Spaßhaben noch anders ausgesehen. Irgendwie mehr nach Spaß.
Auf Seite zwei dann der Schock. Mord an jungem Albaner, stand da in großen Lettern. Ich sog scharf die Luft ein, überflog den Artikel und ärgerte mich über den reißerischen Boulevardstil. Der Bericht war, was mich wenig erstaunte, von José. Vielleicht hätte ihm jemand mal den Sinn und Zweck von Verben erklären müssen. In Gedanken setzte ich sie an den erforderlichen Stellen ein. Die
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