Fangschuss
Wegstreifen der Felswand entlangführte. Ich vermied es, in die Tiefe zu gucken. So gelangte ich in eine weitere Schlucht und die Spur führte wieder hinunter. Weit entfernt sah ich plötzlich den Offroader, der gerade eine kleine Brücke zur gegenüberliegenden Seite überquerte und dann weiter bergauf fuhr, bevor er aus meinem Sichtfeld verschwand. Ich seufzte und drückte aufs Gas. Immerhin hatte mich der Käfer bislang nicht im Stich gelassen.
An der Stelle angekommen, wo ich den Mercedes zuletzt gesehen hatte, hielt ich an. Zwischen den Baumstämmen hindurch war eine Alpweide zu erkennen, sanft abfallendes Gelände mit erstaunlich grünem Gras. Geschätzte zweihundert Meter von mir entfernt stand eine Alphütte, die offensichtlich vor nicht allzu langer Zeit renoviert worden war.
Das Haus war gedrungen und niedrig, gebaut aus groben Steinquadern und am Fuß einer zerklüfteten Felswand hingeduckt, wirkte es trotz der auffällig roten Fensterläden und der kleinen quadratischen Fenster wie eine Festung. Vor dem Gebäude befand sich eine eben aufgeschüttete Fläche, groß genug, um nochmals ein Gebäude hinzustellen. Neben dem Haus parkte gerade der schwarze Offroader. Das musste die Casa Canis sein. Ich hatte Doktor Seeholzers Jagdhütte gefunden.
Kaum hatten Winkler und Stadelmann die Jagdhütte betreten, kamen sie auch schon wieder herausgerannt. Aufgeregt lief Stadelmann um das Gebäude herum, schüttelte den Kopf und spähte beunruhigt zum Waldrand und zu den Felsen hinauf, als ob er etwas suchte, während Winkler stehen geblieben war und sich am Hinterkopf kratzte. Dann rief er Stadelmann zurück. Sie beratschlagten kurz und gingen schließlich wieder hinein.
Ich hatte den Wagen unter einer majestätischen Rottanne abgestellt, deren herabhängende Äste ihn gegen allzu neugierige Blicke schützten, und harrte aus, bis es dunkel wurde. Gegen sechs Uhr trat Stadelmann vor die Hütte, spähte misstrauisch in die Dämmerung, verschwand wieder, nur um in der Folge noch ein paarmal aufzutauchen, um genauso geschäftig wie ziellos ums Haus herumzulaufen, während sich Winkler offensichtlich im Gebäudeinnern verbarrikadiert hatte. Sie schienen allein zu sein, doch um sicherzugehen und meine Neugier zu befriedigen, wie es im Innern der Festung wohl aussah, nahm ich mir vor, nach Einbruch der Dunkelheit einen Spaziergang zu machen. Ich zündete mir eine Zigarette an und warf das Päckchen auf den Beifahrersitz. Vom Baum tropfte es in unregelmäßigen Abständen aufs Autodach, ein dumpfes Pochen, das mich zusammen mit der ansonsten herrschenden Stille schläfrig machte. Ich versuchte, Miranda zu erreichen, doch erst jetzt bemerkte ich, dass ich keinen Empfang hatte. Leise fluchend ließ ich die Rücklehne meines Sitzes hinunter, drückte die Zigarette aus und blickte nachdenklich ins Geäst der Tanne.
Als ich aufwachte, hatten sich die Wolken verzogen und ein tief hängender Silbermond beleuchtete die Lichtung. Der Himmel war von einem samtenen Schwarz, in dem Tausende von Sternen funkelten, wie ein mit Schuppen übersäter Mantelkragen. In der Festung brannte noch Licht. Bei den herrschenden Lichtverhältnissen war es gerade noch möglich, den Pfad zu erkennen, den der Offroader am Nachmittag ins hohe Gras gepflügt hatte, doch der führte geradewegs den Hügel hinunter und über die Lichtung. Das wollte ich nicht riskieren. Winkler, der schnell mal rausgeht, um eine zu rauchen, und ich, wie ich dann wie auf dem Präsentierteller auf der Weide stehe. Also schlich ich am Waldrand entlang, was ungleich beschwerlicher war. Ich ging vorsichtig, setzte behutsam Schritt vor Schritt, wie eine tatterige, alte Frau mit schweren Einkäufen. Der Grund war aufgeweicht und glitschig, und meine Adidas-Turnschuhe versanken augenblicklich im Matsch, wie auch die Socken und der Saum meiner Jeans. Ich dachte sehnsüchtig an meine Zigaretten, die ich im Wagen vergessen hatte, und stieg über eine dicke, knorpelige Wurzel hinweg, während ich stets die Festung im Blick behielt. Wenn ich bis zum Haus vordringen wollte, musste ich die letzten fünfzig Meter übers offene Gelände zurücklegen. Mir wurde etwas mulmig. Ich duckte mich neben einem Busch und beobachtete die hell erleuchteten Fenster. Stadelmann saß am Tisch und nippte an einem Weinglas, Winkler war nirgends zu entdecken. Aus dem Wald klang das klagende Heulen einer Eule, dann knackte plötzlich ein Ast. Ich hielt den Atem an, während das Blut in meinen Ohren
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