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Fangschuss

Fangschuss

Titel: Fangschuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sunil Mann
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so stark pochte, dass ich kaum noch etwas hörte. Ich wandte mich vorsichtig um, aber in der Finsternis, die zwischen den Bäumen lauerte, war nichts zu erkennen. Ich verharrte reglos, doch außer einem hastigen Rascheln, das sich schnell entfernte, war es wieder still. Ein Waldtier, versuchte ich mich wenig überzeugt zu beruhigen, während ich mich wieder zur Jagdhütte hinwandte. Stadelmann hatte sich nicht gerührt, doch nun saß ihm Winkler gegenüber, ich konnte seinen kahl geschorenen Schädel deutlich erkennen. Ich überlegte nicht lange, sprang auf und hetzte über die Lichtung auf das Haus zu. Ich hätte es ahnen müssen. Das Gelände war uneben, und bereits nach wenigen Metern strauchelte ich. Ich unterdrückte einen Schmerzensschrei, rappelte mich auf und rannte weiter, aus dem Mondlicht, das mir plötzlich viel zu grell vorkam, in den schützenden Schatten des Gebäudes.
    Ich kauerte mich hinter den Geländewagen, der neben einem rudimentär zusammengezimmerten Holzschuppen stand, und wartete ab, ob sich etwas rührte. Als ich sicher war, keine unnötige Aufmerksamkeit auf mich gezogen zu haben, schlich ich geduckt weiter, der Hausmauer entlang, immer darauf achtend, nicht mehr vom Mond beschienen zu werden. Als ich den verzerrten Umriss eines erleuchteten Fensters auf dem Gras entdeckte, hielt ich inne. Vorsichtig richtete ich mich auf und spähte in die Hütte hinein. Wobei Hütte eine geradezu vulgäre Untertreibung war für das, was sich mir darbot. Hatte sich der Architekt bei der Renovierung der Fassade noch zurückgehalten und möglichst alles im Originalzustand belassen, so galt für das Interieur das pure Gegenteil. Hier hatte offensichtlich jemand die Platinkreditkarte gezückt und den Neumarkt 17 geplündert, ein nobles Möbelhaus, dessen Preise sich in ähnlich luftigen Höhen tummelten wie die hochgezogenen Augenbrauen der Verkäuferinnen, wenn jemand wie ich den Einrichtungstempel betrat.
    Vorhandenes war bei dieser Neugestaltung ebenfalls berücksichtigt worden, aufwendig restauriert natürlich. Und, wie ich mit Neid feststellte, auch noch stilvoll. In dem Schlafzimmer, in das ich gerade blickte, befand sich eine niedrige, olivgrüne Bauernkommode, die mit filigraner Malerei verziert war, das Bett, das daneben stand, schien jedoch eher von einem japanischen Futondesigner zu stammen. Erstaunlicherweise passten die beiden Möbelstücke zusammen, und zwar besser als die Verbindung von asiatischer Kochkunst mit europäischer Hausmannskost, einer Unart, die in den späten Neunzigerjahren Zürich überrollt hatte und mittlerweile vielleicht gerade noch im tiefsten Aargau praktiziert wurde. ›Fusion Kitchen‹ nannte sich der kurzlebige Trend, der mit Zitronengrasstängeln und Ingwerstäbchen versuchte, Zürcher Geschnetzeltes und Rösti zu vergewaltigen. ›Fusion Living‹ jedoch schien zu funktionieren, jedenfalls hier oben.
    Geduckt schlich ich weiter und schaute durchs nächste Fenster. Hier war offenbar das Wohnzimmer, wobei Wohnsaal als Bezeichnung angebrachter gewesen wäre. Der Raum erstreckte sich über die ganze Fläche, sodass man hinter der beigen Sofalandschaft und einer Vitrine mit antiken Jagdutensilien die Fenster auf der anderen Seite erkennen konnte. An den Wänden hingen gerahmte schwarz-weiße Fotos, grobkörnige, zum Teil vergilbte Bilder von Einzelpersonen und ganzen Familien, auf denen alle so konsterniert guckten, als hätte gerade jemand einen peinlichen Witz über das Familienoberhaupt erzählt. Neben dem Eingang fand sich eine offene Küche mit einem frei stehenden Korpus, einer chromstahlblitzenden Konstruktion, dekoriert mit einer Unzahl an Pfannen und Gerätschaften, deren Verwendungszweck wohl nur eingefleischten Kochprofis bekannt war. Auf der hinteren Seite des Raumes führte eine Tür, wie ich annahm, zu weiteren Schlafzimmern.
    Die beiden Männer saßen an einem riesigen Esstisch mit dunkler Holzfassung und eingelegter Schieferplatte. Quer auf dem Tisch, in Griffweite von Winkler, lag ein Gewehr. Ein paar kleine Plastiksäckchen, unverkennbar braune Quader enthaltend, die an Rindsbouillonwürfel erinnerten, entdeckte ich am anderen Tischende, dazwischen, achtlos hingeworfen, eine Plastiktüte mit weißem Pulver. Ich schätzte, dass es sich dabei um ziemlich genau dreihundert Gramm Koks handelte. Waren sie von Philipp? Ich fragte mich, weshalb die Ware einfach so herumlag. Vielleicht war der Drogendeal tatsächlich nur ein Vorwand gewesen. Die Frage war nur:

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