Fangschuss
weiter erstaunt, als er die Autobahnausfahrt Richtung Chur nahm.
Schon bald hatten wir Zürich hinter uns gelassen und rasten auf der Autobahn ostwärts. Die Landschaft wurde weiter, offener, hin und wieder war zwischen den Bäumen ein grauer Streifen Zürichsee zu erkennen. Der Regen hatte etwas nachgelassen, doch noch immer herrschte trübes Herbstwetter. Nicht gerade die idealen Bedingungen für einen Ausflug in die Berge. Ich ließ Musik laufen und versuchte, die Dinge in einen Zusammenhang zu bringen. Albaner, die Drogen lieferten und dann verschwanden, Albaner, die von Hunden zerfleischt in der Limmat trieben; Murat, der ermordet wurde, weil er etwas wusste; Herr Stadelmann, der mit Winkler Geschäfte machte; Doktor Seeholzer, der sich bei der Jagd langweilte und nicht wusste, dass Philipp Stadelmanns Sohn war, und Philipp selbst, der mit dreihundert Gramm Koks nach St. Moritz fuhr und seither verschwunden war, seinen Vater hasste und von seiner Freundin und seiner Mutter vermisst wurde. Es ergab auf Anhieb keinen Sinn, mir fehlte der rote Faden, ich kam mir vor, als hätte ich einen dieser Rubikwürfel in der Hand und keine Ahnung, wie ich es bewerkstelligen sollte, Ordnung in die Farben zu kriegen. Ich ließ mich etwas zurückfallen, damit Stadelmann und Winkler mich nicht entdeckten. Für eine unauffällige Verfolgungsjagd hatte ich ohnehin das denkbar ungünstigste Auto, doch der Offroader war so groß, dass ich ihn selbst aus weiter Distanz nicht aus den Augen verlieren würde. Mein Handy klingelte und ich stellte die Musik leiser.
»Hombre! Was gibt es Neues?«
»Unterwegs ins Bündnerland.«
»Wellness und wandern?«
»Eher Großwildjagd.«
»Auch nicht zu verachten. Ein wenig Nervenkitzel für den überspannten Städter.«
»Winkler und Stadelmann fahren dahin.«
»Aha.«
Ich lieferte José eine Kurzfassung der Ereignisse und meines Verdachts. »Und ich möchte das morgen bitte nicht in der Zeitung lesen.«
»Wieso erzählst du es mir dann?«
»Irgendwie fühle ich mich sicherer, wenn du auch davon weißt.«
»Soll ich nach St. Moritz kommen?«
»Das würde nichts bringen. Die Hütte liegt angeblich außerhalb und ist schwer zu erreichen.«
»Na gut. Aber die Geschichte klingt hammermäßig: Bankdirektor feiert Orgien im Bündnerland – Drogenkuriere verschwinden spurlos.«
»Na ja.«
»Versprich mir, dass du mir die Geschichte exklusiv überlässt, wenn alles vorüber ist.«
»Ehrlich gesagt habe ich mir noch nicht so viele Gedanken zur Vermarktung gemacht.« Ich ärgerte mich ein wenig über José. Seine Arbeit als Journalist dominierte manchmal sein ganzes Denken.
»Tut mir leid. Das hab ich nicht so gemeint.«
»Hm.«
»Wenn du die Gelegenheit hast, irgendwo einzukehren, trink einen Bündner Röteli. Das haben sich die dort oben ganz fein ausgedacht.«
Schreiben und Saufen. Josés Interessenpalette war milde ausgedrückt übersichtlich. Vielleicht war das der Grund, weshalb wir seit Jahren so eng befreundet waren.
»Gibt’s etwas Neues bei dir?«
»Nicht viel. Am Tatort an der Lagerstrasse fand man keine Spuren.«
»Was?«
»Der Täter muss ein Profi gewesen sein.«
Jetzt war ich mir fast sicher, dass Winkler Murat umgebracht hatte. Ramiz wäre einfach zu blöd gewesen, keine Spuren zu hinterlassen. Fehlte nur noch ein stichhaltiger Beweis. »Ich melde mich wieder.«
»Vergiss nicht, Fotos zu machen, wenn du kannst.«
Verdammt! Natürlich hatte ich meine Digitalkamera zu Hause vergessen. Ich warf einen Blick auf mein Handy und überprüfte den Akku. Er war noch beinahe voll. Immerhin.
Ich blickte aus dem Fenster. Links lag dunkel und beängstigend ruhig der Walensee. Noch war es ein ziemliches Stück bis nach St. Moritz. Ich durchsuchte meine CD-Sammlung, die seit der letzten unsanften Bremsung auf dem Fußboden vor dem Beifahrersitz verstreut lag, und fischte die erstbeste heraus. Eine Selbstgebrannte, natürlich wieder Guns N’ Roses. Die silberne Scheibe wurde mit einem mechanischen Schnappen ins Gerät hineingesogen. Dann setzten jäh dumpf galoppierende Trommeln ein, die immer lauter und zahlreicher wurden, von allen Seiten schienen sie auf mich herabzustürzen und veranstalteten eine regelrechte Hetzjagd, bis ein giftiges Gitarrenriff das Intro zersägte. You Could Be Mine. Der Rhythmus passte zur Autobahn, und plötzlich musste ich an Manju denken. Ganz unvermittelt.
Die Fahrt machte mich schläfrig. Wir passierten eine Raststätte, die sich mit
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