Fantasien der Nacht
zu ihr gehen, Eric! Du darfst ihr nicht trauen; das könnte dein Ende sein!“
„Ich traue ihr nicht. Und was das Zu-ihr-Gehen betrifft … da habe ich keine andere Wahl.“
Selbst als Tamara sich mit Daniel und Curtis gestritten hatte, war er ihr nicht aus dem Kopf gegangen. Den ganzen Tag über war sie außerstande gewesen, den geheimnisvollen Fremden – von dem sie nur seinen Namen kannte, der ihr aber trotzdem überhaupt nicht fremd zu sein schien – aus ihren Gedanken zu verbannen. Es war ihr lediglich gelungen, ihn ein bisschen nach hinten zu drängen, damit sie sich auf ihre Arbeit konzentrieren konnte.
Nun, da sie zu Hause war, im sicheren Hafen ihres Zimmers, und sie ihr Feierabendschläfchen hinter sich hatte, fühlte sie sich ausgeruht, energiegeladen und bereit, die Ereignisse der vergangenen Nacht noch einmal im Geiste Revue passieren zu lassen.
Sie hielt inne und runzelte die Stirn. Seit wann fühlte sie sich nach dem Erwachen ausgeruht? Für gewöhnlich wachte sie zitternd auf, atemlos und verängstigt. Warum war das heute Nacht anders? Sie blickte hinaus zum schneeverhangenen Himmel und erkannte, dass es bereits vollkommen dunkel war. Normalerweise erwachte sie kurz vor Sonnenuntergang aus ihrem Albtraum.
Sie versuchte sich zu erinnern. Es schien ihr, als hätte sie den Traum gehabt – oder sie hatte begonnen, ihn zu träumen. Sie entsann sich des Waldes, des Nebels, der Brombeersträucher und der Finsternis. Sie entsann sich, dass sie jenen unbestimmten Namen rief …
Und daran, dass sie eine Antwort vernommen hatte. Ja. Aus weiter Ferne vernahm sie eine Antwort; eine ruhige tiefe Stimme voller Trost und Stärke hatte ihr versprochen, zu ihr zu kommen. Die Stimme hatte ihr aufgetragen, sich auszuruhen. Sie war aufgewühlt, bis sie die Musik hörte. Leise Klänge, von denen sie annahm, dass es sich dabei um Mozart handelte – etwas aus Elvira Madigan –, beruhigten ihre angespannten Nerven.
Sie gestattete sich ein kleines Lächeln. Vielleicht war sie über diese Sache hinweg, um was auch immer es sich dabei gehandelt haben mochte. Das Lächeln verschwand, als sie sich fragte, ob das stimmte oder ob sie womöglich bloß ein Problem gegen ein anderes ausgetauscht hatte.
Der Mann von der Eislaufbahn kam ihr in den Sinn. Marquand – von dem Daniel steif und fest behauptete, er sei ein Vampir. Er hatte sie geküsst, und so schwer es ihr auch fiel, sich selbst das einzugestehen, sie hatte mit jeder Zelle ihres Körpers auf diesen Kuss reagiert.
Langsam erhob sie sich aus dem Bett und verknotete den Gürtel des roten Satin-Morgenmantels, den sie trug. Sie beugte sich über ihre Frisierkommode und besah sich im Spiegel die verletzte Haut an ihrem Hals. Ihre Finger berührten die Stelle. Sie erinnerte sich an das sonderbare Schwindelgefühl, das sie überkommen hatte, als er ihre Haut zwischen seine Zähne gesaugt hatte, und fragte sich, was es damit auf sich haben mochte.
Schlafmangel und zu viel Stress.
Aber er kannte meinen Namen …
Zumindest das war leicht zu erklären. Er hatte einige Nachforschungen über den Mann angestellt, der ihm ständig nachstellte. Daniel war ihr gesetzlicher Vormund; man musste lediglich einen Blick in die entsprechenden Unterlagen werfen, um das in Erfahrung zu bringen.
Warum schien er dann so überrascht, als ich ihm davon er zählte?
Er ist ein guter Schauspieler. Er muss es gewusst haben. Er ging einfach davon aus, dass es am einfachsten wie auch am wirkungsvollsten wäre, seinen Standpunkt über mich deutlich zu machen.
Stirnrunzelnd betrachtete sie ihr eigenes Spiegelbild, und der enttäuschte Blick, den sie zur Schau stellte, gefiel ihr überhaupt nicht; sie versuchte ihn verschwinden zu lassen. „Er wollte Daniel bloß Angst einjagen, damit sie ihn in Ruhe lassen. Deswegen ist er mir zur Eisbahn gefolgt, um dort seine kleine Show abzuziehen. Stell dir vor, er wäre wirklich so weit gegangen, Curtis zu …“
Tamara legte ihre Handfläche auf das Mal an ihrem Hals und kehrte dem Spiegel den Rücken. Es hatte keinen Sinn, sich einzureden, dass es damit nichts weiter auf sich hatte.
So vieles an dem Mann spottete jeder Erklärung. Warum kam er ihr so vertraut vor? Wie war es ihm gelungen, ihr das Gefühl zu geben, er würde ihre Gedanken lesen? Wie ließ es sich erklären, dass sie offensichtlich hörte, was er sagte, obwohl noch kein Wort über seine Lippen gekommen war? Und was war mit dieser … dieser Sehnsucht?
Blut schoss in ihre Wangen, und
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