Fantasien der Nacht
später damit auseinanderzusetzen. Im Moment verlangte Tamara all seine Aufmerksamkeit.
Eric fasste sie fester und nahm sie mit sich in den Salon, wo ein loderndes Feuer und eine Kanne heißer Schokolade auf sie warteten. Er setzte sich auf das Kanapee und zog sie auf seinen Schoß, so wie er es mit einem kleinen Kind tun würde. Er wiegte ihren Kopf auf seiner Schulter, streichelte ihr Haar und spürte das schmerzhafte Pochen in ihren Schläfen ebenso wie die Feuchtigkeit der Tränen auf ihrer Haut.
„Oh Eric, du hattest recht. Daniel wusste all die Jahre über uns Bescheid. Er wusste, dass du eines Tages zurückkehren würdest, und das war der einzige Grund, warum er mich bei sich aufnahm, als meine Eltern starben.“ Er spürte ihren zittrigen Atem.
„Er hat das dir gegenüber zugegeben?“
Sie nickte. „Er konnte … konnte mir kaum in die Augen sehen.“
Eric stieß einen Seufzer aus und wünschte, er könnte das Leben aus diesem herzlosen Mistkerl herauswürgen, weil er Tamara solchen Kummer bereitete. „Es tut mir so leid, Liebes. Ich wünschte, ich hätte mich geirrt.“
Die Luft blieb ihr im Hals stecken und ließ jeden ihrer Atemzüge zur Qual werden. „Es tut weh, die Wahrheit zu kennen. Ich liebe ihn so sehr, Eric.“
Ich liebe ihn, nicht: Ich habe ihn geliebt. Eric runzelte die Stirn.
Sie hob ihren Kopf von seiner Schulter. „Ich kann nicht einfach aufhören, ihn zu lieben, bloß weil er mich angelogen hat. Ich glaube … auf seine Art … liebt er mich ebenfalls.“
„Ich vergesse immer wieder, wie gut du meine Gedanken zu lesen vermagst“, erwiderte er. „Wie kannst du glauben, dass er sich um dich sorgt, nachdem …“
„Ich muss es einfach glauben. Es schmerzt zu sehr, daran zu denken, dass er mir all die Jahre über bloß etwas vorgespielt hat. Er behauptet, dass er mich nach und nach ins Herz geschlossen hat und dass sich die Gründe, warum er mich bei sich behielt, seitdem geändert haben.“ Sie blinzelte die letzten Tränen fort und strich mit ihren Fingerspitzen sanft über sein weißes Hemd. „Ich habe dich ganz nass gemacht.“
„Ich würde mit Freuden jede Träne aufnehmen, die du vergießt, wenn du es nur zuließest, Tamara.“
Ihre Lippen hoben sich leicht zu den Mundwinkeln hin, zitterten jedoch noch immer. „Ich gebe ihm noch eine letzte Chance.“ Erics Augenbrauen hoben sich, eine höher als die andere, wie er es stets zu tun pflegte, wenn er verblüfft war. „Ich sagte Daniel, wenn er mich wirklich liebt, würde er seine Forschungen einstellen und deine Verfolgung ebenso.“
„Süße, vertrauensselige Tamara“, sagte er, während er eine Locke ihres Haares mit dem Zeigefinger anhob und sie hinter ihr Ohr steckte. „Glaubst du tatsächlich, er würde dem zustimmen? Wir beide wissen, dass er mich zu seiner Lebensaufgabe gemacht hat. Schon bevor du geboren wurdest, hatte er ein Auge auf jede meiner Bewegungen.“
„Ich weiß nicht, ob er zustimmen wird. Aber wenn er es nicht tut, dann denke ich, dass du von hier fortgehen solltest, Eric. Ich habe Angst vor dem, was er im Schilde führt.“
Er lächelte. „Ich bin mir vollkommen darüber im Klaren, was er mit mir im Schilde führt. Und nein, ich werde dir keine neuen Albträume bescheren, indem ich es dir verrate. Du brauchst dir keine Sorgen um mich zu machen, Tamara. Bei Vampiren bedeutet Alter Stärke. Ich besitze die Stärke von über zweihundert Jahren. Ein gewöhnlicher Mensch – selbst mehrere davon – stellen für mich keinerlei Bedrohung dar.“
„Aber dieses Betäubungsmittel, das sie erwähnt haben …“
„Das ist nicht von Bedeutung. Ich werde dich nicht noch einmal verlassen.“
Sie blickte ihm mit so viel Liebe in die Augen, dass Eric unmerklich zusammenfuhr. „Darum würde ich dich niemals bitten. Ich ginge sogar mit dir.“
Sie würde mit ihm gehen, und er wusste, dass sie bei ihm bleiben würde. Für die Dauer ihres sterblichen Lebens wäre es ihm gestattet, sie in Ehren zu halten und zu vergöttern. Und dann würde sie ihn zurücklassen, damit er an seinem gebrochenen Herzen starb.
Sie würde ihm nicht länger gehören als einen kurzen Moment in der Ewigkeit – zwanzig Jahre allenfalls, wenn er Glück hatte. Obwohl er darüber noch nicht mit ihr gesprochen hatte, war er sich schmerzhaft bewusst, dass Menschen mit dem Belladonna-Antigen nur selten über ihr fünfundvierzigstes Jahr hinauskamen.
Womöglich, dachte er, hatte Roland recht. Vielleicht stand ihm diese Entscheidung
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